Thüringer Allgemeine vom 23.03.2002

Paul und seine Freunde


Die linke Szene organisiert sich immer besser, um diffus gegen das System und die Globalisierung zu streiten

Sie organisieren Demonstrationen oder sie stören, wie am vergangenen Wochenende in Erfurt, die der anderen Seite. Sie besetzen Häuser, veranstalten Konzerte gegen Rechts und reisen in die Welt, um gegen Globalisierung oder für die Weltrevolution zu kämpfen. Mit den Parteien wollen die Thüringer Autonomen nichts zu tun haben. Von Martin DEBES

Paul heißt nicht Paul, aber das gehört irgendwie zu dieser Geschichte. Paul ist 21 Jahre alt, seine dunklen Haare versteckt er meist unter einer Mütze. Am Sonnabend war Paul ein wenig in Erfurt unterwegs. An der Ecke, wo sich der Gagarin-Ring mit der Bahnhofstraße kreuzt, lässt er sich von Polizeibeamten von der Fahrbahn schleifen. Danach steht er eng an eng mit 60, 70 Gleichgesinnten, die Polizei hat eine Mauer um sie gebildet. Derart eingekesselt, schaut er dabei zu, wie das Häuflein von etwa 40 Neonazis vorbeitrottet. Später trifft man sich am Wenigemarkt wieder. Die NPD-Jugend lässt sich von einem Funktionär in bayerischem Dialekt über ihr Los aufklären, die Ehre des Vaterlandes zu verteidigen. Abgeschirmt von der Polizei steht Paul bei der Eisdiele und hört aufmerksam zu. Mehrere linke Vereinigungen haben fast 300 Jugendliche mobilisiert, die sich in den Straßen und auf den Hausdächern der Innenstadt verteilen. Es gibt ein zentrales Infotelefon, dort melden die eigens eingesetzten Radkuriere, wo die Rechten und die Polizisten gerade so sind. Am Abend setzt eine Gruppierung namens Yafago eine Erklärung ab. Die autonomen Gruppen, heißt es dort, und die Menschen aus der alternativen Szene haben an diesem Tag gezeigt, dass wir und nicht die Parteien in der Lage sind, den Nazis entschlossen entgegenzutreten. Und: Gleichermaßen ist dies ein klare Absage an eine Zivilgesellschaft, die sich (...) in vielen Punkten nicht von den Nazis unterscheidet.

Paul ist Mitglied von Yafago und er meint diese Sätze richtig ernst. Yafago steht für Youth against fascism and government Jugend gegen Faschismus und Regierung. Paul findet die Arbeit gegen das System und für eine alternative Form des Sozialismus wichtig. Er gehört zu dem 40 bis 50 Leute starken Kern der links-autonomen Szene in Erfurt. In ganz Thüringen mag es doppelt so viele geben wie ihn, man hält Kontakt über Bündnisse wie die Autonome Thüringer Antifa (Atag) oder die Landesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus des umtriebigen Gewerkschaftsfunktionärs Angelo Lucifero. Sie sind es, die der Landesinnenminister in seinem Extremismusbericht als die Gefahr von Links beschreibt und durch den Verfassungsschutz beobachten lässt. Paul weiß das und will deshalb seinen richtigen Namen nicht nennen. Er hat mit einigen Freunden ein Haus auf dem ehemaligen Betriebsgelände von Topf & Söhne im Erfurter Süden besetzt. Sie ahnten zu Beginn nicht, dass die Firma die Verbrennungsöfen für die Konzentrationslager baute. Die Besetzer haben sich Wasser und Strom gelegt und neue Fenster eingebaut. Jetzt, in diesen kalten Frühlingstagen, bekommen sie ihre Zimmer kaum warm, in denen Lenin-Bilder hängen oder Plakate mit Aufrufen zu Demonstrationen gegen die Globalisierung. Die Stadt lässt sie in Ruhe, auch der Verwalter des privaten Geländes hat sein Vorhaben, sie zu verjagen, aufgegeben. Schließlich, die Fabrikhallen müssten abgerissen werden und keiner weiß, was alles im Boden versickert ist wer will sich da schon einkaufen. Also wohnt hier Paul, zusammen mit einem Dutzend Jugendlicher und etwa ebenso vielen Hunden. Im Erdgeschoss befindet sich eine Art Saal. Hier werden Konzerte gegeben, mit den Spenden der Gäste können die Besetzer halbwegs überleben. Hier finden auch die Strategiesitzungen statt, vor den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in Genua, gegen die Sicherheitskonferenz in München oder gegen den letzten Aufmarsch der Rechten. Oder gegen das Land, in dem sie leben denn es gibt für sie 1000 gute Gründe, Deutschland zu hassen. So jedenfalls hieß das Motto, unter dem der PDS-Landtagsabgeordnete Steffen Dittes vergangenen Herbst eine Veranstaltung für Yafago anmeldete. Das Ganze wurde später verboten, Dittes verlor in seiner Fraktion den Posten des innenpolitischen Sprechers. Nicht nur deshalb haben Paul und seine Freunde ein eher schlechtes Verhältnis zur PDS und zu den anderen Parteien sowieso. Die PDS habe sich bereits von der Revolution verabschiedet, sagen sie. Und überhaupt, autonom heißt eigenständig, sagt Paul. Man nehme auch kein Geld, etwa aus dem Bundesprogramm Civitas, mit dem Jugendarbeit gegen Rechts finanziert wird. Wahrscheinlich würden sie auch kein Geld bekommen, denn auch die Thüringer Autonomen gestalten ihr Verhältnis zur Gewalt eher flexibel. Das ist eine große Diskussion bei uns, umschreibt es Paul diplomatisch. Er zum Beispiel sei nicht militant und setze nicht vordergründig auf Gewalt. Aber andere . . . Diese anderen sind auch vorigen Sonnabend in Erfurt mit dabei . Es fliegen ein paar Dosen und Steine und einige Jugendliche probieren, die Absperrung der Polizei gewaltsam zu durchbrechen. Wieder andere von ihnen sind auf ein Haus gestiegen und schwenken vom Dach eine israelische Fahne, dazu schießen sie Leuchtraketen ab. Unten grölen die Rechten Freiheit für Palästina. Waren es nicht die Linken, die vor Jahren Palästinensertücher trugen? Ja schon, sagt Paul. Doch auch darüber werde gerade noch diskutiert.