Stuttgarter Zeitung vom 03.03.2009

Spätes Erinnern an die Techniker des Todes


Erfurt arbeitet eine furchtbare Firmengeschichte auf


Die Erfurter Firma Topf & Söhne hat die Verbrennungsöfen für Auschwitz und die Belüftungstechnik für die Gaskammern geliefert. In Erfurt wollte sich daran lange niemand erinnern. Jetzt entsteht auf dem Firmengelände ein Erinnerungsort. Aber autonome Hausbesetzer stören die Pläne.
Von Hilke Lorenz, Erfurt

Die Treppe war so repräsentativ, dass man Ende der 40er Jahre für ein Erinnerungsfoto Norbert Schneiders gesamte Berufsschulklasse auf ihren Stufen gruppieren konnte. Auf dem Dach des Hauses thronte ein Türmchen, an dem einst weithin sichtbar der Firmenname stand: Topf & Söhne. Ein Arbeitsleben später läuft Norbert Schneider wieder auf das Gebäude zu. Es ist eingerüstet. Der zwischenzeitlich eingestürzte Dachreiter ist schon wieder rekonstruiert, das Dach frisch gedeckt. Ansonsten braucht man noch viel Fantasie, um sich das Haus mit den in vielen Schichten übereinandergeklebten Blümchentapeten, den mit Graffiti überzogenen Wänden und den demolierten Fenstern als den Erfurter Erinnerungsort vorzustellen, der er von Januar 2011 an sein soll. Dieses Haus soll davon erzählen, wie sich Menschen durch ihre tägliche Arbeit am Holocaust beteiligten. Es ist kein Tatort, sondern ein Täterort. Denn die Firma Topf & Söhne baute für die Krematorien in den Konzentrationslagern Auschwitz, Dachau, Buchenwald und Mauthausen Verbrennungsöfen, die sie so optimierte, dass in ihnen Menschen in industriellem Ausmaß beseitigt werden konnten. Und sie entwickelten ein Belüftungssystem für die Gaskammern, so dass dort ohne allzu große Pausen gemordet werden konnte. Die Topf'schen Ingenieure wurden so zu Komplizen der Endlösung, und sie halfen, die Spuren des Mordes an den europäischen Juden zu beseitigen. Das Gebäude, durch dessen Treppenhaus der Pensionär Norbert Schneider (77) und der ehemalige Rechtsanwalt Gert Gutberlet (70) jetzt nach oben streben, war die Denkerzentrale dafür. Beide Männer gehören zum Förderkreis Erinnerungsort Topf und Söhne.
Beide hat dieses in Vergessenheit geratene Thema elektrisiert: Schneider, den Lehrling im Nachfolgebetrieb, der dem Unternehmen so viel verdankt, und Gutberlet, der sich wunderte, dass in Erfurt niemand von diesem Kapitel der Geschichte sprach. Er erinnert sich noch gut, wie er bei der Stadt einmal anfragte, ob man nicht einen Wegweiser aufstellen könne, und man zurückfragte, wer denn ein so verfallenes Gelände besuchen wolle. Heute hat sich der Wind gedreht. Es gehört zum guten Ton, sich für diesen musealen Ort auszusprechen.

Noch gibt es Stellen in dem entkernten Rohbau an der Sorbenstraße, von denen man in das darunter liegende Stockwerk schauen kann. Die Erfurter sind in den Jahren seit 1996, nach der Schließung der Firma, nicht immer pfleglich mit dem ehemaligen Topf'schen Firmensitz umgegangen. Heute passt ein Wachdienst auf das Gelände auf. Lange Jahre war es den Behörden ziemlich egal, ob dort Schutt abgeladen, Baumaterial gestohlen oder die Räume verwüstet wurden. Der Verfall schien erwünscht. Erst im Dezember 2003 stellte das Land Thüringen das Verwaltungsgebäude unter Denkmalschutz. Hartmut Topf (74), ein umtriebiger und kreativer Geist, sagt deshalb: "Der Investor ist ein großes Glück für uns." Hartmut Topf ist kein direkter Nachfahre Ludwig und Ernst-Wolfgang Topfs, den Firmeninhabern während der Nazizeit. Die beiden sind seine Großonkel. Darum hat er sich schon zu einem frühen Zeitpunkt, Mitte der 90er Jahre, dafür eingesetzt, den Ort nicht dem Verfall preiszugeben. Dass es nun wirklich so gekommen ist, wie es sich der Mann gewünscht hat, dessen Familiennamen ihm eine Verpflichtung war, das ist vielen Mitkämpfern zu verdanken.

Da ist die rührige, von Kirchen, Gewerkschaft, jüdischer Gemeinde und vielen Einzelpersonen getragene Bürgerinitiative, die einfach nicht von ihrem Plan ablassen wollte. Dieses Jahr feiert sie ihren zehnten Geburtstag. Seit einem Jahr firmiert sie als Verein. Das zeugt von großer Hartnäckigkeit. Aber auch die Historikerin Annegret Schüle ließ, nachdem sie 2002 von der Gedenkstätte Buchenwald mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Topf'schen Firmengeschichte beauftragt worden ist, nicht mehr locker. Sie legte den Grund für die Ausstellung "Techniker der Endlösung", die vom Jüdischen Museum in Berlin aus durch Europa tourte und 2011 im Erinnerungsort dauerhaft einziehen soll. Und dann ist da noch ein bunter Haufen junger Leute, die im April 2001 einen Teil des 30 000 Quadratmeter großen Geländes besetzten und dort ebenfalls ihre Form der Geschichtsarbeit leisteten. Auch sie machten Führungen auf dem Gelände. Der Förderkreis reichte interessierte junge Besucher an die Jugendlichen in der Wagenburg und an das selbst verwaltete Kulturzentrum weiter. Bürger und Autonome lebten in friedlicher Koexistenz und ließen einander gewähren. Seit ein Investor gefunden ist, gilt der Konsens als brüchig. Der neue Herr im Hause will das Werksgelände, das er von einem Bankenkonsortium gekauft hat, mit Wohnungen und Läden bebauen. Die Besetzer jedoch wollen bleiben, bis sie eine andere Unterkunft gefunden haben. Sie haben sich hier häuslich eingerichtet, zahlen für Wasser und Strom und sortieren den Müll. Die Räumungsklage des Investors liegt inzwischen beim Landgericht. Mitte März wird darüber verhandelt. Für Ende März hat man den etwa 30 Bewohnern das Wasser gekündigt. "Dann wird es ungemütlich", sagt Christian, der zu den Besetzern der ersten Stunde gehört und der auch sagt: "Der Investor wusste, das wir auf dem Gelände sind, als er es kaufte." Bundesweit in die Schlagzeilen gerieten die Autonomen, als Sympathisanten von ihnen die Kika-Figur Bernd, das Brot, entführten. An ihrer Situation hat das nichts geändert. Aber manche in der thüringischen Landeshauptstadt haben jetzt Angst, dass es zu einer Zwangsräumung kommen wird, dass Bilder weltweit verbreitet werden von einem Sondereinsatzkommando der Polizei, das junge Autonome mit Gewalt wegräumt, und dass die Leute dann sagen werden: "Seht her, da ist er noch, der faschistische Staat." Die Vorstellungen der Besetzer passen jedenfalls in keinster Weise zu den Plänen des neuen Besitzers. Die Stadt Erfurt ist ihm durch eine Änderung des Nutzungsplans für das Gelände entgegengekommen. Dafür wird der Bauunternehmer aus Thüringen das Topf’sche Verwaltungsgebäude zu dem Erinnerungsort umbauen, den der Förderkreis immer gefordert hat. Zwei Etagen wird die Historikern Annegret Schüle als Beauftragte der Stadt dort gestalten, sie wird eine Ausstellung, eine Bibliothek und einen Begegnungsraum dort einrichten. Ihre Energie scheint unerschöpflich, auch wenn sie jetzt ein wenig wehmütig auf das Areal schaut. "Ein Gefühl der Trauer ist schon da", sagt sie und deutet auf die Trümmerlandschaft, die rund um das Haus entstanden ist. Denn die übrigen Gebäude auf dem Werksareal - mit Ausnahme des besetzten Teils - hat der Investor in den letzten Wochen abreißen lassen. Das war auch so vereinbart worden. Und abgesehen von der autonomen Szene sagt die Vernunft allen Beteiligten, es sei die beste aller Lösungen, ebenso wie Rüdiger Bender, der Vorsitzende des Vereins. "Man hat dem Verfall zuschauen können", erinnert sich Annegret Schüle und schaut aus dem Fenster: Es ist genau dieser Ausblick, der den Wahnsinn des letzten Jahrhunderts verdeutlicht. Es war 1939, als die Firma Topf & Söhne die Zusammenarbeit mit der SS aufnahm. Der Blick wandert vom dritten Stock des Verwaltungsgebäudes über Erfurt zum Horizont, zu einem bewaldeten Hügel in 25 Kilometer Entfernung. Der Ingenieur Kurt Prüfer hatte hier im Konstruktionssaal seinen Arbeitsplatz. Ein Tüftler, der ohne Skrupel zum Techniker der Endlösung wurde. Während er in Anlehnung an die Öfen für die Tierkadaverbeseitigung auf der Weide für das Konzentrationslager Buchenwald den ersten transportablen Leichenverbrennungsofen entwarf, muss er vom Büro aus zum Hügel geschaut haben, zum Ettersberg über Weimar, wo das KZ Buchenwald stand.

Der Blick verbindet eine bis Ende der 30er Jahre ganz normale deutsche Firma mit der Stadt, die für den Geist Schillers und Goethe steht. Er verbindet aber eben auch den Zeichensaal der Topf'schen Konstrukteure mit der Vernichtungsmaschine der Nazis. Die Zeichner und Ingenieure gingen wie die anderen der in Spitzenzeiten 1150 Männer und Frauen der Topf'schen Belegschaft frühmorgens zur Arbeit, fertigten dort die Bestandteile der Verbrennungsöfen, verpackten sie für den Versand, adressierten sie, schrieben Lieferscheine und manchmal auch Mahnungen an die SS im Lager Auschwitz.
Denn deren Zahlungsmoral war schlecht. Sie wussten also, woran sie beteiligt waren. Denn ihre Monteure waren über Monate vor Ort - in Auschwitz etwa -, um die Verbrennungskammern für die Krematorien und die Belüftungssysteme für den Gebrauch der Gaskammern zu installieren und zu warten. Sie legten darüber ihren Chefs Ludwig und Ernst-Wolfgang Topf in akribisch ausgefüllten Stundenzetteln sowie mündlich Bericht ab. Nur dass die Schlosser und Dreher, die Zeichner und Kontoristen das alles im Mai 1945 bereits wieder vergessen hatten. Sie wähnten sich auf der moralisch sicheren Seite, denn ihre Arbeitgeber waren doch keine blindwütigen Nationalsozialisten gewesen. Und es gehörten schließlich zur Belegschaft auch Kommunisten und Menschen, von denen ein Elternteil Jude war. Die Firmenleitung und der Betriebsrat verständigten sich noch im April 1945 angesichts drohender Untersuchungen, nur den hygienischen Bedürfnissen in den Lagern entsprochen zu haben, als sie die Krematorien in den Konzentrationslagern bauten. Später erklärten sie, unter Zwang gehandelt zu haben. Der Firmenchef Ernst-Wolfgang Topf, der in den Westen ging, hielt bis zu seinem Tod an der These der "unschuldigen Öfen" fest. Nach seiner Darstellung wurden die von seiner Firma hergestellten mehrkammerigen Verbrennungsöfen von der SS ohne Zutun der Ofenbauer zweckentfremdet. Das war die in Erfurt vorherrschende Sichtweise dessen, was geschehen war. Und, dass die Ofenlieferungen an die SS nur einen Bruchteil ausgemacht haben. Neueste Berechnungen sagen, dass es knapp zwei Prozent waren. So sah es auch die nächste Generation der Mitarbeiter, die beim DDR-Nachfolgebetrieb arbeitete. Doch egal wie man es dreht und wendet, diese zwei Prozent sind vor der Geschichte der entscheidende Posten in der Firmenbilanz. "Dies ist kein Ort wie jeder andere", sagt die Historikerin Schüle. Und der Techniker Norbert Schneider drückt es auf seine Weise aus: "Der Schreibtisch ist ein Werkzeug. Wichtig ist, was man damit macht."


Die SS war Kunde beim Ofenbauer

Der Bierbrauer Johann Andreas Topf gründete 1878 ein Unternehmen zur Herstellung von Dampfkesselanlagen. Die Firma "J. A. Topf & Söhne" warb selbstbewusst mit dem Slogan "Topf in aller Welt". Am 4. November 1942 ließ Fritz Sander, ein Ingenieur der Firma, beim Berliner Patentamt dann eine Erfindung von großer Tragweite anmelden. Er beschrieb sie als "kontinuierlich arbeitenden Leichenverbrennungsofen für Massenbetrieb". Einer Müllverbrennungsanlage gleich wollte er die Leichenverbrennung perfektionieren. Heinrich Himmlers SS war da schon Kunde bei Ludwig und Ernst-Wolfgang Topf. Ihnen kam eine Schlüsselfunktion bei der Endlösung zu. Die Topf'schen Monteure reisten nach Auschwitz. Am Morgen nach der Inbetriebnahme des Krematoriums II im März 1943, bei der 1492 Alte, Frauen und Kinder aus dem Krakauer Ghetto vergast worden waren, arbeitete der Monteur Heinrich Messing weiter an der Entlüftung. In seinen Aufzeichnungen spricht er nicht mehr vom Leichenkeller, sondern vom Auskleidekeller. Er wusste, was er tat.
Im Mai 1945 nahm sich Ludwig Topf aus Angst vor einer Verhaftung das Leben. Sein Bruder Ernst-Wolfgang siedelte nach Westdeutschland über. Wieder meldete er einen Krematoriumsofen zum Patent an. In den 60er Jahren ging seine Firma jedoch pleite. Im März 1946 verhafteten sowjetische Offiziere vier leitende Angestellte der Firma, darunter Kurt Prüfer und Fritz Sander. Prüfer starb 1952 in Haft. Sander war wenige Wochen nach seiner Verhaftung gestorben. Die beiden anderen kamen 1955 frei. Aus dem Erfurter Werk wurde später die VEB-Maschinenbaufabrik Nikos Belojannis. Von den 50er Jahren bis zum Konkurs 1996 wurde daraus der EMS, der Erfurter Mälzer- und Speicherbau.