Thüringer Allgemeine vom 17.04.2009

Unsanfter Weckruf


Polizei räumt besetztes Haus/Verkehrschaos rund um den Schmidtstedter Knoten

Es war ein Überraschungseinsatz im Morgengrauen. Mehrere hundert Polizisten räumten das besetzte Haus auf dem ehemaligen Gelände des Ofenbauers Topf & Söhne und nahmen 59 Personen vorläufig fest. Der Einsatz verlief weitgehend friedlich ( das ist trotz aller Dramatik die positive Nachricht für Erfurt.

Von Vera DÄHNERT, ERFURT.

Ich habe um 5.30 Uhr von der bevorstehenden Räumung erfahren, die Besetzer haben mich als Seelsorger gerufen, sagte Johannes Haak, er ist Pfarrer an der Reglergemeinde und kennt die autonome Szene seit vielen Jahren. 35 junge Leute bildeten vor dem Haus in der Rudolstädter Straße eine Sitzblockade, 24 weitere harrten in dem Objekt aus. In der Weimarischen Straße brannte eine Barrikade aus Reifen und Matratzen. Die Polizei löschte mit ihrem Wasserwerfer.
Sieben Stunden lang war die Weimarische Straße voll gesperrt. Vor allem zu Beginn gab es im Umfeld massive Staus. Immerhin war dickster morgendlicher Berufsverkehr. Der Schmidtstedter Knoten und weitere Schwerpunktkreuzungen wie die Clara-Zetkin-/Häßlerstraße oder der Bereich am Finanzministerium wurden von der Polizei manuell geregelt.

Haak sah mit an, wie Sondereinsatzkräfte über das Dach das Haus stürmten, die Besetzer durch einen Mauerdurchbruch abtransportierten. Unbeirrt setzte indes ein Bagger auf dem Schutthaufen neben dem besetzten Haus die Arbeit fort. Etliche junge Leute postierten sich als Zaungäste in der Saalfelder Straße und verfolgten das Geschehen. Man bedauere, dass eines der letzten alternativen Wohnprojekte Thüringens geräumt werde.

Die Sitzblockade wurde nach mehrfacher Aufforderung der Polizei, das Gelände zu verlassen, aufgelöst, Polizisten trugen die Jugendlichen weg. Ich bin überrascht, dass alles so gewaltfrei abgelaufen ist, von der Seite der Polizei und der Besetzer. Man kann fast von einer friedlichen Ruhe und Gelassenheit sprechen. Als Pfarrer habe ich dafür gebetet, sagt Haak. Viele Jahre bot er der Szene seelsorgerlichen Beistand, ich habe die Menschen hier nie als gewälttätig empfunden, schildert der Pfarrer. Gestern räumte er ein, im Haus lagen Flaschen, Wurfgeschosse, man wollte sich wehren. Laut Polizei sind auf dem Gelände Nagelbomben, Molotow-Cocktails, Pyrotechnik, Äxte und Messer sichergestellt worden. Die Besetzer bewarfen zwei Funkstreifenwagen mit Steinen und Flaschen. Verletzt wurde niemand. Dass sich die Erfurter Stadtpolitik lange Zeit um einen Abzug der Besetzer bemüht hatte, der Szene sogar ein Haus am Nordpark als Alternative angeboten hatte, darüber habe er oft mit den jungen Leuten gesprochen, die letztendlich alle Angebote abgelehnt hatten. Haak: Es gibt Beharrlichkeit und Sturheit. Dies ist ein Beispiel dafür, dass Beharrlichkeit in Sturheit umschlagen kann. Die Räumung ist Ergebnis dessen.

"Als absolut gerechtfertigt, sachlich und rechtlich richtig", bezeichnete CDU-Stadtrat Michael Panse die polizeiliche Räumung. "Die im Gebäude sichergestellten Waffen machen deutlich, dass es sich um alles andere als um eine friedliche Jugendrebellion handelt". CDU-Fraktionschef Thomas Pfistner beteuert: "Wir haben die Strategie des Oberbürgermeisters und von Bürgermeisterin Thierbach stets befürwortet, den Besetzern ein alternatives Wohnangebot zu unterbreiten. Mehrfach wurde es ausgeschlagen. Irgendwann war Schluss."
"Das Projekt alternative Lebensweise habe sich selbst zu Grabe getragen", sagte Oberbürgermeister Andreas Bausewein: "Wir waren lange gesprächsbereit, der Starrsinn der Besetzer war größer. Sollte die Szene in den nächsten Tagen auf die Idee kommen, ein anderes Haus in der Stadt zu besetzen, lassen wir sofort räumen", zeigt sich Bausewein entschlossen.