Redebeitrag zur Kundgebung "Gegen deutschen Opfermythos" am 7.5.05 in Erfurt

Deutschland ein Opfermärchen ...


Es war einmal eine Idee der „deutschen Nation“ und des „deutschen Volkes“.

Sie entstand zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Im 18. Jahrhundert hatte es diese Idee noch nicht gegeben. Die Besetzung der deutschen Kleinstaaten durch Napoleon (1806) war die Geburtsstunde der Idee von der Naturhaftigkeit der deutschen Kultur, die vor einem sogenannten fremden Außen verteidigt werden musste. Napoleon und Frankreich waren die ersten und naheliegendsten Feinde der deutschen Idee. Sie wurden abgrundtief gehasst und militärisch bekämpft, was „den Deutschen“ als die „Befreiungskriege“ von 1813-1815 verkauft wurde und wird. Da die „deutsche Idee“ tatsächlich keine politischen Inhalte besitzt, braucht sie – mehr als andere Nationen - immer ein Feindbild, damit wenigstens eine negative Abgrenzung stattfinden kann. Dazu gehören nicht nur die Feinde von Außen, die militärisch besiegt werden müssen, sondern von vornherein auch die Feinde, die das „deutsche Volk“ vermeintlich von innen zersetzen. So wurden auch die französische Sprache und die Ideen der französischen Revolution und Zivilisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu Feinden der „deutschen Kultur“ erklärt.

„Die Deutschen“ sahen sich als Opfer der Französinnen und Franzosen und bekämpften sie. Diese Kriege wurden zu „heiligen Befreiungskriegen“ hochstilisiert, denn die Idee des Deutschen wurde zu einer Art Religion, die es zu verteidigen galt, war sie doch ebenso irrational wie eine solche. „Die Deutschen“ sahen sich als Opfer der Kleinstaaterei, die ein Großdeutsches Reich, also die angeblich „naturhafte Einheit des deutschen Volkes“ verhinderte. Das führte wiederum zu Kriegen, nämlich zu den sogenannten Reichseinigungskriegen, in denen die Menschen der unterschiedlichen Kleinstaaten unter Bismark mit seiner „Blut und Eisen“ Rhetorik mittels Militär zu EINER NATION gemacht wurden.

Das 19. Jahrhundert mit der Entstehung der deutschen Idee brachte aber auch eine neue Art der „Judenfeindschaft“ – den Antisemitismus - mit sich. Nur wenige Jahre nach den sogenannten Befreiungskriegen (1819) gab es eine neue Welle antijüdischer Gewalttaten auf deutschem Gebiet. Vorher hatten antijüdische Progrome vor allem aus christlichen, antijudaistischen Motivationen heraus stattgefunden. Mitte des 19. Jahrhunderts kam erstmals die Rassentheorie auf und „die Deutschen“ zählten sich zu der halluzinierten Herrenrasse der Arierinnen und Arier. 1879 entstand die antisemitische Bewegung, welche das Judentum zu DEM unversöhnlichen Feind des „deutschen Volkes“ erklärte. Die sogenannte „Lösung der Judenfrage“, die Vernichtung aller Jüdinnen und Juden wurde Ende des 19. Jahrhunderts (1899) zum Ziel der antisemitischen Bewegung. Den „jüdischen Geist“ setzten die Antisemitinnen und Antisemiten gleich mit allen negativen Auswirkungen der Modernisierung, vor allem mit der Ausbeutung durch angeblich „raffendes Kapital“ , aber auch mit Marxismus. So wurden Jüdinnen und Juden unter anderem zu den Schuldigen für die Wirtschaftskrise 1873 erklärt.

Die Grundlagen für den Beginn zweier Weltkriege und den Holocaust durch „die Deutschen“ sind also schon im 19. Jahrhundert in den deutschen Opfermythen und den aggressiven vermeintlichen Verteidigungsakten zu finden. Der Hass auf und die Abwertung von Jüdinnen und Juden, Nichtdeutschen oder angeblichen Nichtarierinnen und Nichtariern sowie deren brutale Bekämpfung waren keine Erfindung Hitlers. Sie wurden „den Deutschen“ 1933 nicht aufgezwungen, sondern waren im Gegenteil in der „deutschen Ideologie“ schon vorhanden So wird auch verständlicher, dass Hitler mit 43,9 % der Stimmen an die Macht gewählt wurde und die meisten Menschen Hitlers Politik mit großem Enthusiasmus mittrugen.

Wenn heute wieder über das „deutsche Los“ gejammert wird, darüber, dass „wir armen Deutschen“ keine sogenannte „normale Nation“ sein dürfen, weil wir immer wieder an „unsere Geschichte“ erinnert werden, darüber, dass „deutsche“ Städte bebombt wurden, darüber, dass „wir“ Entschädigungszahlungen an die Opfer des NS zahlen sollen oder darüber, dass so viele Nichtdeutsche „unser Land überfluten“ und „unsere“ Gelder verschleudern, dann ist darin auch eine Wiederbelebung des aggressiven deutschen Opfermythos zusehen.
Dies dürfen wir nicht zulassen!

Kein Fußbreit dem deutschen Opfermythos!




Die BesetzerInnen des ehemaligen Topf & Söhne Geländes