Flyer zur Kundgebung am 9.11.2006

11000 jüdische Kinder - mit der Reichsbahn in den Tod



Die Deutsche Reichsbahn war eines von vielen zivilen Unternehmen, ohne deren Beteiligung die Vernichtung von Millionen von Jüdinnen und Juden, Sinti, Roma und Anderen nicht möglich gewesen wäre. Die Aufgabe der Reichsbahn beim Vernichtungsvorhaben der Deutschen war der Transport der zur Vernichtung bestimmten Menschen in die Konzentrations - und Vernichtungslager. So wurden beispielsweise zwischen 1942 und 1944 mehr als 4 Millionen Jüdinnen und Juden in die Vernichtungslager transportiert. Die Deportationszüge bestanden aus Güterwaggons - trotzdem wurden die zu Deportierenden von der SS als normale Fahrgäste verbucht. Den Fahrpreis für ihre Todesfahrt mussten die Deportierten selbst bezahlen.
Die Reichsbahn war nicht der SS oder der Gestapo unterstellt, deshalb mussten alle Massendeportationen offiziell in Auftrag gegeben werden. Die Organisation der Deportationen aus dem gesamten Reichsgebiet in die Vernichtungslager stellte für die Reichsbahn eine verkehrstechnische Herausforderung dar, denn neben dem zivilen Fahrplan mussten auch noch Militärtransporte organisiert werden. Dennoch bemühte sich die Reichsbahn bei der Erfüllung ihrer Aufgabe um Effizienz und Pünktlichkeit, ohne das Ziel der Transporte in Frage zu stellen. Es gibt keine Verwaltungsakten aus denen hervorginge, dass es eine Arbeitsverweigerung der Angestellten oder Beamten gab, die aus Skrupeln angesichts der "Sonderzüge nach Auschwitz" resultiert hätte.

"Die Züge rollten damals schnell, pünktlich und zielstrebig von überall in Europa an ihre Vernichtungsziele. Das Lob, das die deutsche Bahn damals dafür von den Mördern empfing, muss jetzt zurückgegeben werden, verwandelt werden in das Eingeständnis, an grauenvollen Taten beteiligt gewesen zu sein."
Dr. Nathan Durst, Direktor des psychosozialen Zentrums für Überlebende des Holocaust (Haifa)

In Frankreich wird seit mehreren Jahren in Bahnhöfen des staatlichen französischen Bahnunternehmens SNCF eine Ausstellung über die deportierten Kinder gezeigt. Das französische Bahnunternehmen setzte während des Nationalsozialismus die deutschen Befehle zur Deportation um. Die französische Bahn bekannte sich zu ihrer geschichtlichen Verantwortung und stellte Ausstellungsflächen und Transportmöglichkeiten für die Ausstellungen zur Verfügung.
Die Ausstellung "11000 jüdische Kinder - mit der Reichsbahn in den Tod" von Serge und Beate Klarsfeld zeigt über 150 schwarz-weiss-Fotos und private Bilder von jüdischen Kindern, die später mit der Deutschen Reichsbahn nach Auschwitz deportiert wurden.

Seit über zwei Jahren existiert die Forderung, diese Ausstellung auf deutschen Bahnhöfen zu zeigen. Das Management der Deutschen Bahn AG weigerte sich bis vor kurzem grundsätzlich die Wanderausstellung zu zeigen. Durch den wachsenden politischen Druck, der durch die Kampagnen der UnterstützerInnen der Ausstellung aufgebaut wurde, sah sich das Management vor kurzem gezwungen Zugeständnisse zu machen. Die grundsätzliche Zulassung der Wanderausstellung wurde gleichzeitig durch die Aussage, dass die Ausstellung nur abseits der Publikumsbahnhöfe gezeigt werden solle, relativiert. Die Initiative "Elftausend Kinder" fordert die grundsätzliche Freigabe sämtlicher Bahnhöfe, um an die NS-Deportierten auf den Stationen ihrer letzten Reise zu gedenken, während die Bahn AG sich allenfalls zu einem "symbolischen Gedenken" bereit erklärte. Ein für den 10.7.2006 geplantes Treffen von VertreterInnen der Ausstellungsinitiative, des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Deutschen Bahn AG wurde kurzfristig von der Deutschen Bahn AG wegen "Terminschwierigkeiten" abgesagt, obwohl die VertreterInnen der Ausstellungsinitiative schon angereist waren.
Angesichts der Auseinandersetzungen um diese Ausstellung wird offensichtlich, dass die Deutsche Bahn AG versucht, jegliche öffentliche Auseinandersetzung mit der Beteiligung der Deutschen Reichsbahn am Holocaust, weitestgehend zu unterbinden.

In Erfurt war die Reichsbahn nicht das einzige zivile Unternehmen, das am Holocaust beteiligt war. Eines der bekanntesten Symbole für die Verstrickung der Industrie in den nationalsozialistischen Massenmord, ist die Erfurter Firma Topf & Söhne. Die Firma stellte während der Zeit des Nationalsozialismus die Krematorien für Konzentrations - und Vernichtungslager, z.B. in Buchenwald und Auschwitz her. Außerdem installierte Topf & Söhne Be - und Entlüftungsanlagen für die Gaskammern in Auschwitz.
Im Wirken der Firma lassen sich einige Parallelen zur Beteiligung der Deutschen Reichsbahn am Holocaust finden. Beide Unternehmen, sowohl die staatliche Reichsbahn als auch die private Firma Topf & Söhne arbeiteten nicht unter Zwang; beide beteiligten sich im Rahmen eines "gewöhnlichen Geschäftsverhältnisses" am Holocaust, wobei die SS als Auftraggeber fungierte. In beiden Unternehmen wurde versucht, die gestellte Aufgabe mit größtmöglicher Effizienz und Engagement zu lösen. Bei Topf & Söhne zeigt sich dieses Engagement beispielsweise an den Versuchen der Ingenieure möglichst effiziente Methoden zur Verbrennung möglichst vieler Leichen in möglichst kurzer Zeit zu finden. Die Angestellten in beiden Firmen schienen keinerlei Bedenken bei der Ausübung ihrer täglichen Arbeit zu haben. Im Falle der Firma Topf & Söhne bedeutete diese tägliche Arbeit beispielsweise die regelmäßige Anwesenheit von Monteuren in Auschwitz, um die Anlagen zu installieren, zu warten und ihre Funktionsfähigkeit zu überprüfen - im Klartext bedeutete dies: Vor Ort sicherzustellen, dass die industrielle Vernichtung von Menschen störungsfrei verläuft.

Parallelen von Topf & Söhne und Reichsbahn lassen sich auch im heutigen Umgang mit der Geschichte finden: Auch die Bedeutung der Firma Topf & Söhne für den Holocaust wurde von der Stadt Erfurt lange Zeit heruntergespielt, wenn nicht ganz und gar geleugnet. Nur unter langjährigem politischen Druck, wandelte sich die Position der Stadt langsam. Zur Neubestimmung der Position der Stadt haben die Forderung des Förderkreises Topf & Söhne und der BesetzerInnen des Geländes nach einem Geschichtsort ebenso beigetragen, wie die Ausstellung "Techniker der Endlösung". Der Stadtratsbeschluss zur Errichtung eines Geschichtsortes im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Firma macht diese Positionsänderung deutlich. Dieser Stadtratsbeschluss wartet bisher jedoch auf seine praktische Umsetzung, während das Topf & Söhne Gelände mehr und mehr zerfällt. Deshalb ist die Forderung nach der schnellen Umsetzung eines solchen Geschichtsortes immer noch aktuell.
Gleichzeitig unterstützen wir die Forderung nach einer Freigabe der Bahnhöfe der Deutschen Bahn AG für die Wanderausstellung "11000 jüdische Kinder". Der Umgang mit der Realität der industriellen Vernichtung von Menschen kann nicht darin bestehen, die Verstrickung des eigenen Unternehmens möglichst wenig publik werden zu lassen. Stattdessen wäre eine öffentliche Auseinandersetzung über die Ursachen und Hintergründe für eine Beteiligung an der industriellen Vernichtung von Menschen nötig. Denn nur so kann Antisemitsmus, Rassismus, Hierarchiedenken und Effizienzdenken um jeden Preis, damals wie heute hinterfragt und bekämpft werden.



Die BesetzerInnen des ehemaligen Topf & Söhne Geländes