Erklärung der Besetzer/innen/gruppe Mai 2001

Topf & Söhne-Gelände: Einen Monat besetzt

Liebe Leute,
wir haben am 12.April - vor einem Monat - in Erfurt den Teilbereich einer Industriebrache besetzt. Noch sind wir drinnen und wir gehen davon aus, dass das noch eine ganze Weile so bleibt. Fakt ist das der Notverwalter momentan nicht räumen will, während der Apparat sein Interesse an einer Räumung schon bekundet hat. Mit uns verhandeln, zwecks eines Ausweichobjektes, wollen sie übrigens auch nicht, wir sind ja Rechtsbrecher. Da im Moment die Situation recht unklar ist, wird sich wohl der OB der Stadt Erfurt einschalten. Was das heißt, wissen wir noch nicht. Räumen kann er nicht, mit uns reden will er nicht. Keiner kann sagen was kommt. Wie auch immer, wir werden nicht freiwillig gehen. Sie kommen nicht durch.
In den Häusern entsteht gerade ein autonomes Zentrum, mit Wohn-, Konzert- und Veranstaltungsräumen, Werkstätten, einem d.i.y.-Plattenladen, einer öffentlichen Küche und Räumen für linksradikale Gruppen. ... das übliche also.
Das Gelände wurde besetzt, weil einfach ein Autonomes Zentrum gebraucht wird. Es stand leer, also sind Menschen dort eingezogen. Auch das kennt ihr, dass hat es alles schon geben, nur in letzter Zeit leider nicht so oft.
Leider ist das Gelände nicht irgendeins, sondern es ist Teil einer Firma gewesen, die im Dritten Reich die Krematorien für Konzentrations- und Vernichtungslager, wie Buchenwald und Auschwitz gebaut haben. Dieser Geschichte gilt es Rechnung zu tragen. Die Verantwortlichen waren die Firma Topf & Söhne und ihre Mitarbeiter, durch sie wurden in Auschwitz die sämtlichen Öfen in den fünf Krematorien gebaut, Teile von Gaskammern montiert und die Be- und Entlüftung der Gaskammern geplant. Diese Woche haben wir nun erfahren, dass wir rein rechtlich mit unserer Teilbesetzung, die Grundstücke zweier Firmen enteignet haben. Die zweite Firma ist der Schweizer Betrieb ~DSchindler Aufzüge~S, der 1994 die Firma ~DGustav Linse~S übernommen hat. Die Firma Linse hat ebenfalls ihren Beitrag zum maschinellen Ablauf in den Krematorien beigetragen. Ihr Verdienst ist die Installierung von Aufzügen, die die Leichen aus der Gaskammer im Keller zu den Öfen im Erdgeschoss gebracht haben. Auch die Rechtsabteilung dieser Firma ist an einer deeskalierenden Lösung interessiert.
Auf dem Gelände findet sich bis heute nichts, was an diese Deutsche Vergangenheit erinnert. Sicherlich waren die Firma Topf & Söhne und die Firma Linse nur eine von vielen in Deutschland und letzten Endes wurde die Shoa, die Vernichtung von Sinti und Roma, Zwangsarbeit, medizinische Experimente, Euthanasie von Gehinderten von der gesamten deutschen Bevölkerungsgruppe getragen, unterstützt und gedeckt. Genau aus diesem Grund können und wollen wir uns nicht aus dem Täterkollektiv nehmen. Das Gelände wurde enteignet und nicht neu in Besitz genommen. Das Gelände wurde nicht besetzt um eine besonders ethische oder moralische Tat zu vollbringen, sondern weil diese deutsche Geschichte in Erfurt, in der ganzen ehemaligen DDR, nur punktuell beleuchtet, damit verfälscht, wurde und auch noch wird.
Es ist auch der Fall, dass nicht nur wir an dem Gelände Interesse haben, sondern durchaus noch weitere Bevölkerungskreise. Seit 1998 gibt es in Erfurt den Förderkreis Topf & Söhne. Die Menschen aus diesem losen Bündnis kommen aus den unterschiedlichsten Kreisen, jedoch alle bürgerlich. Aber lange vor uns haben sie bereits Bestrebungen entwickelt diese Problematik zu thematisieren, eine Ausstellung soll erstellt werden. Wie sich die Stadt dazu verhält, zeigt eine Episode, den obwohl es einen Beschluss der Stadtverwaltung gibt die Arbeit des Förderkreises zu unterstützen hat der Kulturbeigeordnete der Stadt den Plan der Stadtverwaltung vorgetragen, in der Begegnungsstätte Kleine Synagoge solle eine Dokumentation über Topf & Söhne entstehen. Der Förderkreis hält dies für unzureichend und für unangebracht, einem Ort jüdischer Geschichte die Tätergeschichte aufzubürden. Mit dem alleinigen Konzept eines antifaschistischen Jugendzentrums werden diese Menschen ausgeschlossen, genauso wie z.B. der israelische Rundfunksender, der vor ein paar Jahren ein Interview mit dem ehemaligen Geschäftsleiter der DDR-Nachfolge-Firma -DEMS- gemacht hat. Diese Gruppen auszuschließen, liegt fern unseren Vorstellungen.
Das Spannungsfeld wurde geschaffen. Wie geht es nun weiter? Auf der einen Seite wir, mit dem Verständnis, das Vergangenheit erst bewältigt ist, wenn die Ursachen beseitigt sind, auf der anderen Seite die Stadt und die Gläubiger der in Konkurs gegangenen Firma sowie die Anwälte in der Schweiz, die dieses Problem bloß nicht ansprechen wollen, irgendwo dazwischen der Förderkreis. Eine Möglichkeit wie eine Zusammenarbeit stattfinden kann, wird eine Geschichtswerkstatt sein. Forschung und ihre Präsentation, jugendpolitische Arbeit in Schulen und natürlich im AZ sind Möglichkeiten Einfluss zu nehmen. Inwieweit wir von dort aus die deutsche Gesellschaft an ihrem Wurzeln bekämpfen können, wird an unserer Kraft liegen ..... und natürlich an euch. Keine/r von uns hat der Weisheit letzten Schuss, eure Anregungen, Kritiken und Vorschläge sind jederzeit willkommen, Eure Arbeitskraft übrigens auch. Bringt eure Kreativität in jeder Form ein, denn nur
Zusammen können wir nach den Sternen greifen!
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