Zu Gast beim Schwachsinn

Neuer Deutscher Patriotismus und Fußball



Whats up in Germany
Allerorten Deutschland-Hype. Allerorten Deutschlandfahnen an den Autos, an den Fenstern, Deutschland-Hüte, -T-Shirts und -Irokesenperücken. Schwarz-Rot-Gold ist in Mode. Eine Nation entdeckt an Hand der Fußball-WM ihre eigene Tricolore wieder und gibt sich unverkrampft "deutsch". Fans rennen nach dem Spiel Deutschland gegen Polen durch die Straßen und nötigen die PassantInnen mit Gesängen wie "Steh auf, wenn du Deutscher bist." Wer nicht euphorisch mittaumelt, ist suspekt. Der Schwachsinn scheint vor keiner noch so alternativen Kneipe und keinem Milieu Halt zu machen.

"Das Land normalisiert sich" (Horst Köhler)
Horst Köhler, seines Zeichens Bundespräsident des gelobten D-Landes, freut sich : " ... dass sich das Land weiter normalisiert, dass man jetzt unverkrampfter auf seine eigene Nationalfahne zeigt und sich mit ihr schmückt". Wenn sich Deutschland "weiter normalisiert", was ist dann unnormal an Deutschland? Woher die Sehnsucht nach Normalität? Warum muss die Politik eine Normalität regelrecht beschwören und zum Thema machen und kann den ganz normalen Nationalismus nicht normal sein lassen? Wohl weil sich selbst nicht geglaubt wird, dass er normal ist?
Dieses unverkrampfte "Deutsch-Sein" kommt herüber wie das Pfeifen im Walde, dass das Unbehagen verscheuchen soll. Die "geläuterte" Nation Deutschland hat nur eins dazugelernt: aus der Singularität seiner Geschichte, nämlich aus dem Verbrechen von Auschwitz und dem Lostreten zweier Weltkriege moralisches Kapital zu schlagen. Es wird vorgegeben, "daraus gelernt" zu haben und nicht wie die "blöden Amis und Israelis" tagtäglich "Schandtaten" zu verzapfen (Vorsicht "Ironie"). Dies scheint jedoch der Opferpose, die Deutschland neuerdings einzunehmen trachtet, diesem paranoiden Gehabe um ein "Nicht-normal-sein-dürfen" keinen Abbruch zu tun. Eine Klinsmann-Elf schafft dabei das, was vorher die Werbekampagne "Du bist Deutschland" gründlich vergeigt hat. Sie schafft (deutsche)Identität. Die Fußball-WM in Deutschland scheint dafür das ideale Parkett zu sein. Allerdings zeigen die Warnungen, die für manche Gegenden Ostdeutschlands in Sachen Fremdenfeindlichkeit ausgesprochen wurden, dass der Slogan "Zu Gast bei Freunden" mancherorts an der Realität vorbei geht. Freund wird wohl eher nur sein dürfen, wer sich von "unseren Gladiatoren" besiegen lässt und danach gefälligst wieder nach hause fährt. Gerade diese Fußball-WM zeigt mal wieder, wie identitätsstiftend Patriotismus ist. Wenn eine Fußballmannschaft, wie die, die Deutschland vertritt, gewinnt, hat sie gut trainiert, hatten sie Glück, waren die Anderen schlechter. Dies jedoch mit Deutschland gleichzusetzen ist Schwachfug, Blödsinn, Engstirnigkeit. Das "Wunder von Bern" und die "Schmach von 1994", die ganze Aufgeregtheit und das Trara lassen deutlich werden, dass es hier nicht um Sport, sondern um billiges patriotistisches Spektakel geht, welches die Leute ordentlich bei der (nationalen) Stange halten soll. Wieso machen soviele diesen Quatsch anstandslos mit? Woher das Bedürfnis nach soviel hirnloser Symbolik?

Kuscheln wollen, wo es immer ungemütlicher wird
Deutschland, dass eindeutig auf dem Parkett der Weltpolitik als neue Supermacht agiert, steht vor einigen innenpolitischen Problemen. Wie alle großen Staatskolosse leidet auch Deutschland unter hoher Staatsverschuldung, Subventionsfilz und einem hohen Anteil an Arbeitslosen. Um einen kapitalistischen Normalbetrieb aufrecht halten zu können, muss sich dieser Staatskoloss in seinen Ausgaben verschlanken. Dies geschieht größtenteils über den Abbau sozialer Standarts, Entlassungen, Privatisierungen, Lohndumping, prekäre Arbeitsverhältnisse und dem Abschieben ganzer Bevölkerungsteile in die Armut, da die eh niemand mehr als Arbeitskräfte braucht. Da natürlich sich niemand gerne in die Tasche greifen lassen will, sind solche sozialen Umverteilungen in der Bevölkerung sehr unpopulär. Das Spektakel der gelungen Fußball-WM kommt da gerade recht. Während die deutsche Fußballmannschaft von Sieg zu Sieg eilt, versucht die Politik weitere soziale Einschnitte durchzusetzen und den derzeitigen Hurra-Patriotismus als Einverständnis mit dem Sozialabbau zu werten. Angesicht der Fußball-WM äußerte Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Da wird mir nicht bange, dass dieses Land auch die Herausforderungen meistert, vor denen wir insgesamt stehen." Wem da nicht bange wird, dem ist nicht mehr zu helfen. Das nette Wort "Herausforderungen" steht hier nämlich als Synonym für "Zumutungen". Es könnte auch der Satz so übersetzt werden: "Auf Grund des derzeitigen National-Patriotismus wird mir nicht bange, dass wir den Leuten `für unser aller Deutschland` noch mehr Zumutungen aufdrücken können, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen". (Kleinere) Brot(e) und Spiele! Fußball und Politik treffen sich hier im Spektakel und gehen in Sachen nationalistische Mobilisierung eine Allianz ein. Im Gegenzug findet sich auch eine immer größere Bereitschaft in der Bevölkerung, den hingehaltenen Köder zu schlucken.

Lasst uns miesepeterig sein
An Hand von so viel guter Laune und bei solch bescheidenen Aussichten ist es schon wieder subversiv, sich als Partykiller zu betätigen. Zu feiern gibt es nichts, auch wenn eine Hand voll hochbezahlter Hammpelmänner im Namen Deutschlands erfolgreich über den Rasen donnern. Mag Fußball ein spannender Sport sein, so ist er unter den derzeitigen Bedingungen und Vorzeichen patriotistischer Mackerkram. Gerade in der jetzigen Situation wäre es charmant, wenn sich nicht so viele Leute von solchen Spektakeln das Gehirn verkleistern ließen und auch auf kritische Distanz zu dem Konstrukt "Deutschland" gehen würden. Besser noch wäre es, sich gegen die Zumutung "Deutschland" zur Wehr zu setzen.

"Jeder Mensch hat eine Leber, eine Milz, eine Lunge und eine Fahne; sämtliche vier Organe sind lebenswichtig. Es soll Menschen ohne Leber, ohne Milz und mit halber Lunge geben; Menschen ohne Fahne gibt es nicht." - "Der Mensch", von Kurt Tucholsky in: "Die Weltbühne", 16. Juni 1931, S. 889f



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