vorläufiges selbstverständnis des hausbesetzer(innen)kollektivs für das politische zentrum auf dem topf- und söhne-gelände

1. geschichte des gebäudes/geländes
2. hausbesetzungen
3. organisation
4. grundlagen unserer politischen arbeit




1. geschichte des gebäudes/geländes



a)politische situation herbst 2001

die politische situation ist gekennzeichnet von einer sozialdemokratisch-grünen berliner republik, in der das frühere engagement der alt-68er, die heute regieren, als legitimation für eine immer stärker werdende repressive politik genutzt wird. gesetzestexte und politische diskurse erlangen ihr gütesiegel mit dem zaunpfahlwink auf vermeintlich guten willen der alten menschenrechtlerInnen.
ein guter kapitalismus, so lehren sie uns, sei möglich. so konnte ein angriffskrieg der brd, der rechtsnachfolgestaat des aggressors des 2. weltkriegs, als "humanitärer einsatz" gelten, bei dem die eigene vergangenheit auf dem balkan in form eines nationalen führers, kzs und genoziden gefunden werden.
martin walser, ein national-konservativer dichter, erhält den friedenspreis des deutschen buchhandels und hält mit seiner dankesrede im oktober 1998 das manifest der neuen republik.
erinnerung an die deutsche vergangenheit hängt ihm zum halse raus, deutsche würden grundlos gedemütigt, "unsere schande" (schuld zu sagen, vermeidet er) werde ausgenützt.
in einer zeit, in der endlich "entschädigungs"-zahlungen an überlebende zwangarbeiterInnen gezahlt werden sollen, wird diese haltung zur politischen praxis: almosen an die überlebenden sind der endgültige schlußstrich unter die deutsche geschichte.
immer wieder wird von deutschen politikerInnen, schriftstellerInnen, journalistInnen das antisemitische motiv der schuldumkehr und der hetze gegen die, die nicht vergessen wollen aufgenommen, um sich als gebeuteltes volk darzustellen.
3 jahre später wird joschka fischer an der jerusalemer holocaust-gedenkstätte yad vashem sagen: "deutschland wäre ein schönes land, wäre der nationalsozialismus nicht gewesen." zeitgleich spricht die neue vorsitzende der partei des demokratischen sozialismus und ehemalige thüringer landesvorsitzende gabriele zimmer ein loblied auf die deutschland, seine natur, geschichte und kultur, und ein schriftsteller spricht den überzeugten deutschen aus dem herzen, wenn er von einer "holocaust-industrie" (so der titel seines buches) schreibt, die das leid der opfer und natürlich auch täterInnen ausnützt. daß norman finkelstein, der autor, selbst jüdischen glaubens ist, dient nur noch mehr als legitimation zur beruhigung des gewissens.
wir wollen nicht vergessen, wir wollen immer störenfriede in einer sich konstituierenden normalität sein, die ausschwitz nicht endlich als totalen bruch mit der bürgerlichen utopie sieht.

b) das gelände topf & söhne und unsere ambitionen

auch wenn unsere besetzung nicht primär von dem wissen um die geschichte des geländes motiviert war, gab sie uns einen weiteren grund zu besetzen und den anspruch, uns mit der geschichte dieses geländes auseinanderzusetzen.
uns wurde bewußt, daß es mit der besetzung dieses geländes unsere aufgabe ist, einer geschichtsauffassung entgegenzuwirken, die behauptet, der nationalsozialismus wäre die diktatur einer kleinen elite gewesen, während alle anderen deutschen nur opfer dieser "schlimmen zeit" seien.
zudem wird damit eine schlussstrich-politik verfolgt, die deutschland wieder zur geachteten weltmacht verhelfen soll.
so bedeutet eine besetzung eines teils dieses geländes zwangsläufig auch, sich mit seiner geschichte auseinanderzusetzen.
die firma topf & söhne stellte im nationalsozialismus verbrennungsöfen für konzentrationslager her. ganz normale deutsche täter und täterinnen haben hier gearbeitet. es wurde die ganz normale "deutsche wertarbeit" geleistet, die die industrielle vernichtung von 6 millionen juden möglich gemacht hat. wir sehen es als unsere aufgabe an, immer wieder daran zu erinnern und gegen das vergessen zu kämpfen.
gerade an einem ort der täter muß dazu historische und politische arbeit geleistet werden. dazu in einer stadt, die in ihrer online-stadtchronik nur vier einträge über die nationalsozialistische vernichtung und elf einträge zu der bebombung der stadt durch die alliierten hat, ganz im sinne einer opfer-darstellung von deutschen. deshalb organisieren wir veranstaltungen oder beteiligen uns an aktionen wie z. b. der störung einer buchvorstellung von martin walser oder protestkundgebugen gegen ein bundesweites treffen des bundes der vertriebenen. unsere abendveranstaltungen thematisierten z. b. das verhältnis zwischen deutscher arbeit und vernichtungspolitik, das leben von kz-häftlingen, desertation im nationalsozialismus und vorträge über die geschichte des geländes und der firma topf&söhne.

2. hausbesetzungen



unser bedürfnis nach einem platz/zentrum, wo wir verschiedene projekte z. b. ein cafe, wohnraum und raum für konzerte und veranstaltungen erschaffen konnten, wurde nicht eingelöst. so entschlossen wir uns mittels einer besetzung, das zu nehmen, was wir brauchten. damit übergingen wir das prinzip, nach dem eine eigentlich nutzung nur möglich ist, nämlich die anerkennung eines eigentumsrechts.
hausbesetzungen haben eine lange geschichte, die aktivsten zeiten des häuserkampfs sind allerdings seit anfang der 90er Jahre - zumindest in der brd - vorbei. seitdem stagniert die hausbesetzer(innen)bewegung: immer mehr häuser werden geräumt bzw. legalisiert, es werden kaum neue häuser besetzt oder länger gehalten. die gründe, aus denen früher häuser besetzt wurden, sind allerdings nicht verschwunden. die bewegung hat nur mit den folgen der repression und kapitalistischer stadtentwicklungspolitik zu kämpfen, in ihr schlägt sich auch die momentane krise der radikalen linken nieder.
stadtentwicklung diente, wenn nicht gerade initiativen und bewegungen dem entgegengekämpft haben, schon immer der aufrechterhaltung der warenproduktion und der nationalökonomie. es besteht kein unterschied im bau von wohnungen in den 50/60er Jahren, um dem steigenden bedarf an arbeiterInnen unterzubringen und den anreizen der bundesregierung für investoren in den 90ern, büroraum in der ehemaligen ddr zu schaffen, um eine marktwirtschaft aufzubauen. beides folgt dem kapitalistischen sachzwang der verwertung.
die aktuelle situation ist gekennzeichnet durch den abriss von sozialwohnungen im kontrast zur schaffung von büroraum und der aufwertung bestehender objekte, die so für die masse der wohnungssuchenden unerschwinglich werden.
auch und gerade deshalb ist es wichtig, die aktionsform squatting weiter zu verfolgen und zu entwickeln.
widerständigkeit zeigt sich aber nicht nur darin, daß dieser raum von staatlicher kontrollierbarkeit befreit wurde und erst durch polizeiliche räumung genommen werden kann, sondern vor allem darin, an alltäglichen auseinandersetzungen teilzunehmen. die erklärung der besetzung eines gebäudes gibt erst einmal nur vor, nicht-kapitalistisch zu sein. es ist ein versuch, unabhängig vom markt und städtbaulichen planungen häuser einer verwertungspolitik und einem besitzverhältnis zu entziehen. um sie von einer kapitalistischen vergesellschaftung zu befreien, braucht es eine andere form der nutzung, die nicht auf pacht-, miet- oder eigentumsverhältnissen beruht und eine andere organisationsform der individuen. (dazu weiter unten) ein projekt kann sich erst dann antikapitalistisch nennen, wenn es von seiner eigenen situation im kräfteverhältnis der eisigen realität den umsturz desselben organisiert. so ist es uns wichtig, gerade in unserer existenzweise, in der organisierung des alltags, eine beispiel zu geben, wie bedürfnisorientierte wirtschaft und politik funktioniert, die auch ähnlich wie ziviler ungehorsam und direkte aktion die grenzen des vorgegebenen überschreiten kann.

3. organisation



zugrunde liegt unserer organisation eine libertäre philosophie, in der allen menschen die gleichen ressourcen und sie betreffenden informationen zustehen und in der alle an sie betreffenden entscheidungen teilhaben können. besetzte häuser können in dieser gesellschaftsordnung einen raum darstellen, um jetzt schon anders, solidarisch, selbstbestimmt, nicht-warenförmig und nicht-diskriminiert zu leben, wohnen, arbeiten und abzuhängen.
wir versuchen den oben formulierten anspruch umzusetzen indem wir entscheidungen in einem offenem plenum fällen, dass für alle menschen zugänglich ist die sich mit dem hausbesetzer(innen)kollektiv und dessen prinzipien assoziieren. mit menschen, die die von ihnen praktizierte unterdrückung weiterhin rechtfertigen - obwohl sie darauf angesprochen wurden, ihr verhalten zu ändern - wollen wir nicht mehr zusammenarbeiten. das ist z. b. bei sexistischem, antisemitischem und rassistischem verhalten und sprüchen der fall.
der versuch dies umzusetzen wirft allerdings immer wieder probleme und diskussionen auf.

4. grundlagen unserer politischen arbeit



das hausbesetzer(innen)kollektiv hat die emanzipation zum obersten ziel, d.h. sie strebt die unabhängigmachung aller menschen von allen zwangsverhältnissen an.
gesellschaftlich bedeutet das auch die möglichkeit jedes individuums sich auf der historisch höchstmöglichen stufe zu entfalten.
allerdings ist "fortschritt" kritisch zu betrachten da er momentan von kapitalistischen prinzipien bestimmt wird. ein positiver fortschritt bedeutet, forschung und technische entwicklung an den bedürfnissen des menschen zu orientieren. das hausbesetzer(innen)kollektiv wendet sich im allgemeinen gegen die nation als willkürliche bürgerliche herrschaftsform und im speziellen gegen das völkische prinzip, welches herrschaft als naturbedingt begründet.
das hausbesetzer(innen)kollektiv reflektiert die unüberwindbare befangenheit des projekts im kapitalismus, solange er gesellschaftliches prinzip ist, daher strebt es nach dessen überwindung und kommunistischer aneignung.


[dieses papier ist das produkt von diskussionen die vom hausbesetzer(innen)kollektiv bis dezember 2001 geführt wurden. diese diskussionen dauern an, daher ist es keine endfassung sondern gibt den momentanen diskussionsstand wieder.]