Seit dem größten - uns bekannten
Selbstmordattentat der Geschichte ist die deutsche
Öffentlichkeit und auch der deutsche Bürger gespalten.
Die Frage, die da steht, ist, wen es mehr zu hassen gilt, wer dem
deutschen Kollektiv mehr leid antun will. Möglich sind - mehr
oder weniger - alle Muslim(inn)e(n) oder Amerikaner(innen). Beiden
Richtungen liegt die selbe Inszenierung als Opfer zugrunde,
weswegen es sich für eine Linke verbietet, eine Seite zu
bedienen.
Heute sind wir alle
Amerikaner.
Mit diesen Worten verklärt sich die
deutsche Öffentlichkeit selbst zum Opfer der Angriffe. Doch
auch die Regierungserklärungen, die vom feigen (sic!)
Angriff auf die freie zivilisierte Welt reden, verfolgen
dieses Ziel. Ganz offensichtlich wird hier der Fakt verschwiegen,
dass die Vereinigten Staaten von Amerika angegriffen wurden und mit
ihnen das Symbol des jüdischen Finanzkapitals - das
World Trade Center. Aber der Unfähigkeit Mitleid zu empfinden,
kann nur durch Selbstinszenierung als Opfer begegnet werden. Die
Täter - Bin Laden oder alle Moslems -bedrohen nun auch
uns, das ist spätestens seit den Verhaftungen in
Hamburg klar. Deswegen müsse Schluss sein mit der
Spaßgesellschaft[1] (Naumann), die den
Extremismus vernachlässige. Ausbau von Polizei und
Verfassungsschutz sind zu erwarten, sogar Bundeswehreinsätze
im Inland stehen zur Diskussion. All das zieht rassistische
Anfeindungen und Übergriffe nach sich. Die NPD etwa empfiehlt
die Abschiebung tausender (sic!) Djihad-Kämpfer.
Fälle von Pöbeleien, Anfeindungen, Morddrohungen gegen
(vermeintliche) Moslems und Araber(innen) sind bekannt. Diesem
deutschen Mob gilt es sich entgegen zu stellen.
No World War 3 (Transparent)
postuliert die andere Seite. Die deutsche Gesellschaft - die sich
als Gemeinschaft versteht - hat differenzieren gelernt. Die
Bildzeitung stellt fest Es gibt keine Einteilung in gute
Völker und böse und fragt Muß Deutschland
jetzt in den Krieg ziehen?, Transparente fordern in Erfurt
Vergeltung - (k)eine Lösung ?, die TA weiß Bin
Laden ist nicht der Islam, drei von vier befragten Trauernden
bekunden ihre Angst vor einer Überreaktion der
Amerikaner. Die NPD rechnet die Toten des Imperialismus[2]
gegen die WTC Toten auf und fordert den deutschen NATO Austritt.
Die Bundesregierung tut alles, um die unberechenbaren Amerikaner zu
mäßigen. Rau, Schröder und Scharping rufen zur
Besonnenheit auf. Was ist passiert. Noch 1999 waren die Deutschen
nicht bereit zu differenzieren. Nach dem Massaker von Racak
schrieen sie nach Krieg und haben ihn bekommen, keine(r) hat
Beweise abgewartet.[3] Scharping übertraf sich selbst
immer wieder mit Greuelgeschichten über die Serb(inn)en. Dabei
wurde eine völkisch-islamische Gruppe - die UCK - aufgebaut,
die nun Juden, Jüdinnen, Serb(inn)en, Roma und Sinti aus dem
Kosovo vertrieben hat. Dieser Gruppe wurde nun durch die Bundeswehr
der Einmarsch nach Mazedonien ermöglicht, worauf der Einmarsch
der EU folgte, angeblich um Waffen einzusammeln. Darüber
beschwerte sich niemand, selbst die deutsche Linke blieb
erstaunlich still.
Anders im aktuellen Fall: Ein - nicht zu erwartender
-dritter Weltkrieg wird halluziniert[4], Amerika
kritisiert -freilich ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen.
Doch die Friedensliebe kann es nicht sein, welche die Deutschen
umtreibt. Der Grund muss beim ausgemachten Aggressor liegen:
Amerika. Mit einem Mal entdecken die Deutschen, dass Terror soziale
Ursachen hat, dass die USA das Problem hausgemacht haben, dass
Krieg eine unschöne Sache ist. Dieser Kritik am
großen Aggressor USA folgt die Kritik am kleinen
Aggressor Israel. Ein palästinensischer
Verhandlungsführer wird über Israels Ausnutzung der
Situation in den USA interviewt. Von einer Gewaltspirale, die
hoch geschaukelt werde, wird geschrieben, die nur ein Land ins Werk
gesetzt haben kann: Israel. Mit dem Beginn des Einmarsches in
Afghanistan wird diese anti-amerikanische und antiisraelische
Stimmung weiter zunehmen, die Juden und Amerikaner werden
uns wieder bedrohen. Diesem deutschen Mob gilt es sich
ebenso entgegen zu stellen.
Bleibt die Frage nach einer
Einschätzung des Konfliktes unabhängig der deutschen
Öffentlichkeit. Dies kann momentan nur unter dem Axiom,
islamische Fundamentalist(inn)en haben die Bombardements zu
verantworten, diskutiert werden, weil es momentan die
wahrscheinlichste Option ist und weil keine Alternative
einfällt.
In diesem Falle muss unsere Parteilichkeit dem
US-Imperialismus gelten, der sich in diesem Fall gegen
völkische lslamist(inn)en richtet. Denn real steht die Frage
nach kriegerischen Auseinandersetzungen nicht. Die Bombardierung
New Yorks hat stattgefunden, gespeist aus dem Wahn Amerikanerinnen
und Juden/Jüdinnen zu töten. Es ist zu erwarten, dass ein
nicht stattfindender Gegenschlag der USA diesen Wahn nähren
würde, den Aktivist(inn)en Selbstvertrauen gibt. Bei einem
Gegenschlag steht immerhin die Option, dass Bin Laden
militärisch geschlagen wird und damit der Möglichkeiten
beraubt, seinen Wahn in die Tat umzusetzen. Da aber
Solidarisierungseffekte nicht auszuschließen sind, ist dies
in der Tat eine schlechte Antwort auf die Attentate, eine
Alternative gibt es aber nicht. Eine Linke kann aber unter den
gegebenen Bedingungen nicht zur Gewaltfreiheit aufrufen, die Gewalt
endet erst mit der Überwindung der bürgerlichen
Gesellschaft. Daher muss sie sich für das tendenziell
fortschrittlichere Projekt entscheiden. Dem Antisemitismus ist der
amerikanische Imperialismus vorzuziehen. Die
bürgerliche Gesellschaft schafft uns mit ihrem nicht
erfüllbaren Glücksversprechen immerhin die Grundlage
für eine Revolution, der arme aber ehrliche Islamismus
entzieht uns eben diese Grundlage. Der nicht erfüllbare
Anspruch auf Glück ist dem Hass darauf vorzuziehen.
KPFiHVV | 17.9.2001
[1] Also der Befriedigung individueller Bedürfnisse, Parallelen zum islamistischen Fundamentalismus
drängen sich auf.
[2] Dresden, Berlin, Vietnam, Hiroshima
[3] Zugegeben: Wahnhafte Anti-Amerikaner kritisierten schon den Kosovo-Krieg, weil er angeblich US
Interessen diene.
[4] Bis jetzt ist nicht einmal - wie allenorts behauptet - der NATO-Bündnisfall
eingetreten