Die linke Szene organisiert sich immer besser, um diffus gegen das System
und die Globalisierung zu streiten
Sie organisieren Demonstrationen oder sie stören, wie am vergangenen
Wochenende in Erfurt, die der anderen Seite. Sie besetzen Häuser,
veranstalten Konzerte gegen Rechts und reisen in die Welt, um gegen
Globalisierung oder für die Weltrevolution zu kämpfen. Mit den Parteien
wollen die Thüringer Autonomen nichts zu tun haben. Von Martin DEBES
Paul heißt nicht Paul, aber das gehört irgendwie zu dieser Geschichte. Paul
ist 21 Jahre alt, seine dunklen Haare versteckt er meist unter einer Mütze.
Am Sonnabend war Paul ein wenig in Erfurt unterwegs. An der Ecke, wo sich
der Gagarin-Ring mit der Bahnhofstraße kreuzt, lässt er sich von
Polizeibeamten von der Fahrbahn schleifen. Danach steht er eng an eng mit
60, 70 Gleichgesinnten, die Polizei hat eine Mauer um sie gebildet. Derart
eingekesselt, schaut er dabei zu, wie das Häuflein von etwa 40 Neonazis
vorbeitrottet. Später trifft man sich am Wenigemarkt wieder. Die NPD-Jugend
lässt sich von einem Funktionär in bayerischem Dialekt über ihr Los
aufklären, die Ehre des Vaterlandes zu verteidigen. Abgeschirmt von der
Polizei steht Paul bei der Eisdiele und hört aufmerksam zu. Mehrere linke
Vereinigungen haben fast 300 Jugendliche mobilisiert, die sich in den
Straßen und auf den Hausdächern der Innenstadt verteilen. Es gibt ein
zentrales Infotelefon, dort melden die eigens eingesetzten Radkuriere, wo
die Rechten und die Polizisten gerade so sind. Am Abend setzt eine
Gruppierung namens Yafago eine Erklärung ab. Die autonomen Gruppen, heißt es
dort, und die Menschen aus der alternativen Szene haben an diesem Tag
gezeigt, dass wir und nicht die Parteien in der Lage sind, den Nazis
entschlossen entgegenzutreten. Und: Gleichermaßen ist dies ein klare Absage
an eine Zivilgesellschaft, die sich (...) in vielen Punkten nicht von den
Nazis unterscheidet.
Paul ist Mitglied von Yafago und er meint diese Sätze richtig ernst. Yafago
steht für Youth against fascism and government Jugend gegen Faschismus und
Regierung. Paul findet die Arbeit gegen das System und für eine alternative
Form des Sozialismus wichtig. Er gehört zu dem 40 bis 50 Leute starken Kern
der links-autonomen Szene in Erfurt. In ganz Thüringen mag es doppelt so
viele geben wie ihn, man hält Kontakt über Bündnisse wie die Autonome
Thüringer Antifa (Atag) oder die Landesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus
des umtriebigen Gewerkschaftsfunktionärs Angelo Lucifero. Sie sind es, die
der Landesinnenminister in seinem Extremismusbericht als die Gefahr von
Links beschreibt und durch den Verfassungsschutz beobachten lässt. Paul weiß
das und will deshalb seinen richtigen Namen nicht nennen. Er hat mit einigen
Freunden ein Haus auf dem ehemaligen Betriebsgelände von Topf & Söhne im
Erfurter Süden besetzt. Sie ahnten zu Beginn nicht, dass die Firma die
Verbrennungsöfen für die Konzentrationslager baute. Die Besetzer haben sich
Wasser und Strom gelegt und neue Fenster eingebaut. Jetzt, in diesen kalten
Frühlingstagen, bekommen sie ihre Zimmer kaum warm, in denen Lenin-Bilder
hängen oder Plakate mit Aufrufen zu Demonstrationen gegen die
Globalisierung. Die Stadt lässt sie in Ruhe, auch der Verwalter des privaten
Geländes hat sein Vorhaben, sie zu verjagen, aufgegeben. Schließlich, die
Fabrikhallen müssten abgerissen werden und keiner weiß, was alles im Boden
versickert ist wer will sich da schon einkaufen. Also wohnt hier Paul,
zusammen mit einem Dutzend Jugendlicher und etwa ebenso vielen Hunden. Im
Erdgeschoss befindet sich eine Art Saal. Hier werden Konzerte gegeben, mit
den Spenden der Gäste können die Besetzer halbwegs überleben. Hier finden
auch die Strategiesitzungen statt, vor den Demonstrationen gegen den
G8-Gipfel in Genua, gegen die Sicherheitskonferenz in München oder gegen den
letzten Aufmarsch der Rechten. Oder gegen das Land, in dem sie leben denn es
gibt für sie 1000 gute Gründe, Deutschland zu hassen. So jedenfalls hieß das
Motto, unter dem der PDS-Landtagsabgeordnete Steffen Dittes vergangenen
Herbst eine Veranstaltung für Yafago anmeldete. Das Ganze wurde später
verboten, Dittes verlor in seiner Fraktion den Posten des innenpolitischen
Sprechers. Nicht nur deshalb haben Paul und seine Freunde ein eher
schlechtes Verhältnis zur PDS und zu den anderen Parteien sowieso. Die PDS
habe sich bereits von der Revolution verabschiedet, sagen sie. Und
überhaupt, autonom heißt eigenständig, sagt Paul. Man nehme auch kein Geld,
etwa aus dem Bundesprogramm Civitas, mit dem Jugendarbeit gegen Rechts
finanziert wird. Wahrscheinlich würden sie auch kein Geld bekommen, denn
auch die Thüringer Autonomen gestalten ihr Verhältnis zur Gewalt eher
flexibel. Das ist eine große Diskussion bei uns, umschreibt es Paul
diplomatisch. Er zum Beispiel sei nicht militant und setze nicht
vordergründig auf Gewalt. Aber andere . . . Diese anderen sind auch vorigen
Sonnabend in Erfurt mit dabei . Es fliegen ein paar Dosen und Steine und
einige Jugendliche probieren, die Absperrung der Polizei gewaltsam zu
durchbrechen. Wieder andere von ihnen sind auf ein Haus gestiegen und
schwenken vom Dach eine israelische Fahne, dazu schießen sie Leuchtraketen
ab. Unten grölen die Rechten Freiheit für Palästina. Waren es nicht die
Linken, die vor Jahren Palästinensertücher trugen? Ja schon, sagt Paul. Doch
auch darüber werde gerade noch diskutiert.