Bernd, das indoktrinierte Brot
Von Barbara Hans
Eigentlich ist Bernd ein unpolitisches Brot. Doch nun wurde der TV-Star von Antifa-Aktivisten entführt - und offenbar indoktriniert. In einem Bekenner-Video setzt sich der Kult-Kauz für den Erhalt einer besetzten Fabrik in Erfurt ein. Eine Posse mit direkter Verbindung zur deutschen Geschichte.
Seit schätzungsweise 36 Stunden befindet sich Bernd das Brot in der Gewalt von wahrscheinlich politisch motivierten Geiselnehmern. Eine zwei Meter hohe Figur des ulkigen Kinderfernseh-Stars wurde aus der Erfurter Innenstadt entführt. Jetzt tauchte ein Bekennervideo auf, das die Indoktrination des völlig unpolitischen Kult-Laibes vermuten lässt. Was treibt Bernd auf dem Gelände einer stillgelegten Erfurter Fabrik?
Was wie eine humorvolle Posse klingt, hat einen Hintergrund, der sowohl Erfurts Verstrickung in nationalsozialistische Verbrechen als auch die heutige Antifa- und Hausbesetzerszene umfasst.
Von außen mutet das, was von der Industriebrache im Osten Erfurts noch übrig ist, wie ein Trümmerfeld an: zerborstene Scheiben, Glasscherben, der Turm des alten Verwaltungsgebäudes hat erst windschief dem Wetter getrotzt, im vergangenen Sommer ist der durch das Dach in das Gebäude gestürzt. Von außen hat das Gemäuer Brandspuren, es scheint, als hätte sich die gesamte Erfurter Sprayerszene hier ausgetobt.
TOPF & SÖHNE
Die Firma J. A. Topf & Söhne wurde 1878 in Erfurt gegründet. In den 1940er Jahren entschloss sich die Firmenleitung zur Zusammenarbeit mit dem Reichssicherheitshauptamt, das die Konzentrationslager verwaltete. Sie stattete mehrere KZs mit Krematoriumsöfen aus. mehr auf SPIEGEL WISSEN...
Nur ein Teil ist übrig von der Erfurter Fabrik Topf & Söhne, 1887 gegründet, 1946 enteignet, seit 1939 Hauptlieferant für die Verbrennungsöfen der Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald. Werbeslogan: "Stets gern für Sie beschäftigt."
400.000 Reichsmark brachte das Geschäft mit dem NS-Regime und seiner proklamierten "Endlösung" den Unternehmern Ludwig und Ernst-Wolfgang Topf ein. 1942 reichten die Angestellten der "Abteilung Spezialofenbau" sogar das Patent für einen "kontinuierlich arbeitenden Leichen-Verbrennungsofen für Massenbetrieb" ein. Bei Topf & Söhne arbeitete man mehr als eifrig für das einträgliche Geschäft mit der Ermordung von Millionen Juden.
In der Begründung des Patent-Antrags heißt es: "In den durch den Krieg und seine Folgen bedingten Sammellagern der besetzten Ostgebiete mit ihrer unvermeidlich hohen Sterblichkeit [...] besteht der Zwang, die ständig anfallende Anzahl von Leichen durch Einäscherung schnell und hygienisch einwandfrei zu beseitigen." Dazu sollten am besten "mehrere Leichen gleichzeitig eingeäschert werden."
"Noch ein bisschen illegaler als vorher"
Doch heute ist die Firma Geschichte, Chef Ludwig Topf vergiftete sich in der Nacht zum 31. Mai 1945 mit Zyankali, sein Bruder Ernst-Wolfgang versuchte sein Glück im Westen. Geblieben sind die Ruinen der Gebäude.
Heute leben rund 20 bis 30 Besetzer auf dem Topf & Sohn Gelände, im Bauwagen und in den noch bewohnbaren Teilen der Fabrik. Sie haben in den vergangenen Jahren Führungen organisiert, einen virtuellen Rundgang erstellt, ein Literaturcafé und einen Umsonstladen betrieben, Filmabende und Vorträge organisiert. Doch nun ist Schluss.
Am 8. Januar erreichte die Besetzer ein Schreiben, wonach sie das Gelände am 21. Januar - am gestrigen Mittwoch - auf Veranlassung des neuen Besitzers räumen mussten. Passiert ist seither nichts. "Wir sind immer noch da, nur quasi noch ein bisschen illegaler als vorher schon", sagt Jens, einer der Bewohner des Geländes, SPIEGEL ONLINE.
Allerdings haben die Besetzer medienwirksame Unterstützung erhalten: Bernd das Brot, Kultfigur des ARD- und ZDF-Kinderkanals Ki.Ka und bislang in unmittelbarer Nähe des Erfurter Rathauses heimisch, ist aus der Altstadt entführt worden. Auf Youtube war ein Bekennervideo zu sehen, das inzwischen gesperrt wurde. In dem Video wurde kolportiert, dass Bernd quasi als sympathisierendes Kastenbrot in das besetzte Haus gezogen sei. Dort habe er, wie es in dem Film heißt, "Zuflucht gesucht".
2. Teil: "Der Rest ist Geschichte"
Der Clip zeigt einen Rundgang über das Gelände im Sommer. Inzwischen, sagt Jens, sehe es dort ganz anders aus. "Wenn ich hier aus dem Fenster schaue, sehe ich überall nur Haufen aus Bauschutt." Der neue Besitzer, die Domicil Hausbau GmbH hat mit den Abrissarbeiten begonnen, nur noch die besetzten Häuser und das alte Verwaltungsgebäude sind erhalten. "Der Rest ist schon Geschichte. Im wahrsten Sinn des Wortes", sagt Jens.
Seit fast acht Jahren ist Topf & Söhne besetzt, viele der Bewohner der ersten Stunde sind auch heute noch da. Ende 2007 hat die Stadt das Grundstück verkauft - die Domicil Hausbau GmbH will hier, rund einen Kilometer von der Innenstadt entfernt, Wohnhäuser und einen Supermarkt bauen. Auf Anfrage wollte man sich dort nicht zu den Vorgängen äußern.
Einzig das alte Verwaltungsgebäude mit dem eingestürzten Turm soll mit Hilfe von Fördergeldern wieder auf- und als Erinnerungsstätte ausgebaut werden. Seit 1998 gibt es in Erfurt einen eigenen Förderverein, der sich für eine Erinnerungsstätte auf dem Topf & Söhne Gelände engagiert. Der hat zwar mit den Besetzern in der Vergangenheit teilweise eng zusammengearbeitet, sperrt sich aber nicht wie sie gegen einen Abriss der anderen Fabrikgebäude.
Doch noch ist eine Räumung des Areals nicht in Sicht - denn bislang liegt den Bewohnern lediglich eine Aufforderung zur Räumung vor, nicht aber eine Räumungsklage. Für die bedarf es einer gerichtlichen Entscheidung. Doch die Besetzer rüsten sich schon jetzt für einen Polizeieinsatz, freiwillig gehen wollen sie nicht.
"Wir stecken gerade mitten in den Vorbereitungen, haben uns schon verbarrikadiert", sagt Jens. "Man kann sie ja nicht so einfach durch das offene Tor gehen lassen. Dann wären die vergangenen acht Jahre umsonst gewesen."
Mit der Entführung von Bernd und dem Bekennervideo wollen die Besetzer nichts zu tun haben: "Das ist eine originelle Idee, aber von uns ist sie nicht." Vielmehr sei das eine Aktion von Unterstützern - auf den Bildern sind noch Gebäudeteile zu sehen, die offenbar im Sommer aufgenommen worden sind. "Wir haben ein bisschen umdekoriert, damit es im Fernsehen mehr hermacht", sagt Bernd in dem Clip.
"Wir haben getan, was wir konnten", sagt die Stadt
"Das Gelände soll so, wie es ist, erhalten werden. Man wird hier direkt mit der Geschichte konfrontiert, hier rückt sie ins Zentrum des Interesses", begründet Jens die Motivation der Besetzer, zu bleiben.
Dabei hat die Stadt im Herbst ein Angebot gemacht: Oberbürgermeister Andreas Bausewein, SPD, und seine Stellvertreterin haben drei Vertreter der Hausbesetzer im Rathaus empfangen und ihnen ein Angebot unterbreitet: Die Gruppe könne eine alte Schlosserei im Norden Erfurts nutzen. Bedingung: Die Besetzer formieren sich als Verein, damit ein Mietvertrag zustande kommen kann. Im Gegenzug bekommen die Bewohner die Miete in Form von Fördergeldern erstattet.
"Wir haben getan, was wir konnten", sagt Inga Hettstedt, Sprecherin des Oberbürgermeisters, SPIEGEL ONLINE. Doch die Besetzer hätten das Angebot nach mehrfachen Gesprächen abgelehnt - weil sie keinen einstimmigen Entschluss gemäß ihres basisdemokratischen Selbstverständnisses hätten fällen können.
"Die Äußerungen der Stadt klingen so, als seien wir arrogante Kinder, die an allem nörgeln", sagt Jens. "Dabei waren die Räumlichkeiten ganz einfach zu klein, da hätten zwei oder drei Leute in einem Zimmer schlafen müssen, das ist nicht zumutbar."
Außerdem hätte man die Projekte auf die Hälfte zurückschrauben müssen - aus Platzmangel. Laut Sprecherin Hettstedt handelt es sich aber um "die derzeit größte städtische Immobilie", die zudem nicht deutlich kleiner sei als die auf dem Fabrikgelände. Auf der Straße müsse aber auch nach einer Räumung keiner der Bewohner stehen, sagt Hettstedt. "Da finden wir für alle eine Lösung."
Für die Besetzer spricht jedoch nicht allein die Größe der Schlosserei gegen eine freiwillige Räumung. "Wir sind nicht sonderlich angetan von der Idee, einen Verein zu gründen, auch wenn es nur formell ist, weil ein Verein schon eine hierarchische Struktur ist, die wir vermeiden wollen", erklärt Jens. Im besetzten Haus, das muss auch Bernd im Video lernen, gibt es deshalb auch keinen Küchenchef: "Es gibt doch keine Chefs auf dem Gelände, Bernd. Da wird alles selbst verwaltet und selbst organisiert!"
Derzeit schauen sich die Besetzer nach einer neuen Bleibe um. Die Stadt will kein neues Angebot unterbreiten. Und Bernd, das versprechen die Entführer, wird wieder zurückkehren - wenn es an der Zeit ist.