Besetztes Haus: Aufforderung zur Räumung abgelaufen/Festhalten am alternativen Wohnprojekt
Das Besetzte Haus auf dem Gelände von Topf und Söhne sollte bis gestern geräumt sein. Dort herrschte aber ein Kommen und Gehen - und eine Stimmung zwischen Trotz und Realitätssinn.
Von Casjen CARL
Bernd das Brot vom Fischmarkt entführt, Hämmern an Barrikaden. Eine Pressekonferenz zur Aktionswoche ist anberaumt - zu der sogar ein Journalist aus Frankfurt/Main findet. Stehen Erfurt heiße Tage bevor? "Vor einer Woche dachten wir, dass es jetzt ganz schnell gehen muss", sagt Christoph (32) und meint damit die Befestigung des Areals. Christoph ist natürlich nicht sein richtiger Name und auch ein Bild in der Zeitung - das muss nicht sein.
Der junge Mann mit dem kurzen Haar, in das frisch Streifen gefräst sind, zählt sich zu den Ur-Bewohnern des "Hauses" - wie es in Erfurt unter der Jugend genannt wird. Sich und seine engsten Mitstreiter will er aber nicht als Jugendliche einsortiert wissen. Gerade Politiker wollen uns ja so darstellen: das sind 18-Jährige und die haben so ihre Phasen. Seine Phase dauere schon acht Jahre und er sieht auch keinen Grund, seinen Lebensstil zu ändern. Nach dem Abi und Studium fand er in Erfurt Arbeit und in der Freizeit geht es ihm darum, an politischen - ja durchaus - systemkritischen Projekten mitzuarbeiten. Die Geschichte von Topf und Söhne - der Ofenbauer für Auschwitz - ans Licht zu holen, dafür hätten auch die Besetzer viel und anerkanntes geleistet. Ins Haus zu ziehen, hatte seine praktischen Seiten, sind dort doch die Leute, die er okay findet und mit denen er politisch agiert. Gestern musste er Urlaub nehmen, um am ersten Aktionstag dabei zu sein.
Wir sträuben uns ja nicht grundsätzlich, woanders hinzugehen. Aber viele haben einfach keine Lust, sich so vertreiben zu lassen. Zumal es aus seiner Sicht die Absprache gab, solange nicht saniert wird, werde man noch bleiben können. Der plötzlich aufgestellte Räumungstermin hätte dann alles durcheinandergewirbelt und die Besetzer schalteten von der Suche nach einem neuen Haus auf Verteidigung um.
Wie kämen er und seine Leute eigentlich drauf, von der Stadt ein Ersatzobjekt zu bekommen? Da könnte sich doch jeder als Hausbesetzer deklarieren und eine Immobilie von der Stadt fordern? Passt das in linkes, soziales Denken? "Wir wollen ja nur ein ohnehin leerstehendes Gebäude, um unser Projekt zu retten. Dann ist das sozial. Zumal, wenn etwas erhalten wird, was es in der Form in Erfurt sonst nicht gibt". Na ja, so strikt sei man am Ende ja gar nicht gegen eine Vereinsgründung, aber für das angebotene Gebäude in der Auenstraße hatte es sich jedenfalls nicht gelohnt, solche Kompromisse einzugehen.
Die angekündigte Aktionswoche soll nun mit vielen öffentlich wirksamen Aktionen starten und auf die politische Arbeit der Besetzer aufmerksam machen. Um Sympathie in der Bevölkerung gehe es da nicht so. Der Aufruf kreativen Widerstand gegen die Räumungsabsichten zu leisten, werde auch nicht nach dieser Woche zurückgenommen. Insofern wisse selbst Christoph nicht, was in den nächsten Tagen so passiere. Sprayer-Kommandos seien - so versichert er - aber nicht losgeschickt worden. Und dass jemand die direkt neben dem Rathaus stehende Bernd-das-Brot-Figur abgeschraubt und laut einem Bekennerschreiben im Namen der Besetzer entführt hat, davon will er nichts gewusst haben. Witzig finde ich es aber schon.
Wer gestern sehen wollte, wie die Leute im Haus oder in den Bauwagen leben, kam zu spät. Wagen wurden umhergeschoben. Viele haben schon das wertvollste Gut aus ihren Zimmern gesichert. So mutet angesichts der Aufbruchstimmung in der Luft es schon wie Besetzer-Folklore an, wenn Balken und Bretter zur Verstärkung des Zauns angebracht werden - obwohl eine Räumung sogar laut Polizeiaussagen derzeit nicht ansteht. So hält sich auch der Eifer bei einigen in Grenzen. Sie murren sogar, als sie aus einem neuen VW Golf Getränkekisten nehmen und ins Haus tragen sollen.
Christoph, der aus einer Kleinstadt in Thüringen stammt, hat keine andere Wohnung und wird erst packen, wenn mit Nachdruck oder wie auch immer die Aufforderung zum Verlassen des Geländes kommt.