Das besetzte Haus in Erfurt ist akut von Räumung bedroht
Von Anke Engelmann, Erfurt
Nach wie vor ist die Lage des besetzten Hauses in Erfurt prekär. Ein Ultimatum des neuen Eigentümers lief am Mittwoch ab. Indes genießen die Besetzer in der Stadt einige Sympathie.
"Hurra, wir sind bald obdachlos", jubelten die Bewohner des besetzten Hauses in Erfurt am Dienstag vor dem Rathaus. In der Tat könnten sie bald auf der Straße sitzen. Bis Mittwoch sollten sie das Gelände in der Rudolstädter Straße 1 verlassen. Der neue Eigentümer, ein Bauunternehmer aus Mühlhausen, hatte dieses Ultimatum gestellt. Auf dem Gelände der ehemaligen Firma Topf und Söhne sollen Büros und Wohnungen entstehen. Seit fast acht Jahren halten es zwischen 30 und 40 Leuten besetzt.
Die Stadtverwaltung hatte ein Ausweichgelände sowie einen Zuschuss von der Stadt angeboten, der die Miete abdecken sollte. Dafür hätten die Besetzer einen Verein gründen müssen. Sie lehnten ab. Denn das Gebäude in der Erfurter Auenstraße bietet ihrer Ansicht nach weder genügend Wohnraum noch Platz für Projekte. Zudem sei die Lage ungünstig für Veranstaltungen. Daraufhin hatten der Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) und Bürgermeisterin Tamara Thierbach (LINKE) die Gespräche als gescheitert erklärt. Einen kleinen Aufschub gibt es noch für die Hausbesetzer: Die Frist für eine Räumung wurde laut Bausewein noch einmal um ein oder zwei Wochen verlängert.
"Wir haben alles versucht, um die Kuh vom Eis zu bekommen", sagte Bausewein gegenüber ND. Die Gespräche ziehen sich seit einem dreiviertel Jahr. Die Stimmung ist gespannt und von Missverständnissen geprägt. "Pausenlos wird die Schuld bei der Stadt gesucht. Dabei sind wir nur die Moderatoren, nicht die Eigentümer", beklagt der OB. "Wir haben keine weiteren Objekte." Auch die Besetzer haben in der Stadt nichts Passendes gefunden, sagt ein Sprecher. »Wir haben dafür gerade nicht viel Zeit.« Stattdessen setzt die Truppe auf Aktionen. So »entführten« sie am Mittwochabend die über zwei Meter große Kunststofffigur "Bernd das Brot" aus der Innenstadt. Das Kastenbrot mit den viel zu kurzen Armen wirbt seit Herbst vergangenen Jahres für den Ki.Ka, der in Erfurt seinen Sitz hat.
Die Stadt steht unter Druck. Denn den Besetzern ist zu verdanken, dass die Geschichte des Geländes in Erinnerung gerufen wurde. Topf und Söhne bauten hier in der Nazizeit Verbrennungsöfen für die Konzentrationslager. Die alternativen Bewohner haben diese Vergangenheit bekannt gemacht, Führungen und Ausstellungen organisiert und eine Internet-Seite eingerichtet. Neben dem DGB erklärten sich die Erfurter Jusos solidarisch und riefen zur Teilnahme an Aktionen auf. Bürgermeisterin Thierbach bekam Feuer aus der eigenen Fraktion. "Es wäre eine Katastrophe für das Ansehen der Stadt, an einem Ort der Erinnerung an Nazi-Verbrechen die gewaltsame Räumung eines links-alternativen Projektes zu erleben", heißt es in einer Erklärung der LINKEN.
Eine Räumung wäre auch ein schwerer Schlag für die autonome Jugendkultur in Thüringen. Neben dem Erfurter Haus existieren im Freistaat nur noch zwei Häuser in Weimar in der Gerberstraße 1 und 3, die sich allerdings gerade in einem internen Machtkampf selbst aufreiben.