Thüringer Allgemeine vom 09.02.2009

Demonstrierter Gesprächsbedarf


Jugendliche vom Besetzten Haus hatten eine Protestaktion angemeldet und gaben eine Geschichtsstunde

ERFURT (ipe). Polizeiautos an allen Ecken rund um den Fischmarkt und EVAG-Einsatzfahrzeuge dominierten Samstagnachmittag am Fischmarkt. 100 junge Leute vom Besetzten Haus in Erfurt hatten sich zu einer friedlichen Demonstration vor dem Rathaus versammelt. "Hunde sind verboten, außer Blindenhunde, auch Flaschen und Wurfgeschosse...", gaben sie eingangs bekannt. Die Jugendlichen, die sich als Geschichtskreis für einen Erinnerungsort Topf & Söhne engagieren, hatten Informationstafeln von ihrem regelmäßig initiierten Geschichtsrundgang auf dem einstigen Industrieareal an der Weimarischen Straße aufgestellt und informierten die Passanten über die Firma, die von Erfurt aus durch ihren Ofenbau für die Krematorien der Konzentrationslager der Nazis maß- geblich dazu beigetragen hat, dass Millionen Menschen ermordet wurden. Die zweistündige Demonstration, ohne Zwischenfälle, richtete sich gegen den nun angelaufenen Abriss und eine Neubebauung des Geländes. Ein Geschichtsort auf zwei Etagen kann niemals das ganze Ausmaß der Firma und ihres Handelns so erfahrbar machen wie das derzeitige Gelände, argumentierte eine Sprecherin. Für die jungen Leute sei das keine akzeptable Lösung. Es wäre mehr möglich gewesen. Stattdessen wird ein einmaliger historischer Ort zerstört. Auf dem Informationsblatt Gegen das Vergessen, welches die jungen Leute verteilten, kritisieren sie den Umgang mit dem Gelände. Die Zerstörung trifft einen Ort, der symbolisch für die Betetiligung ziviler Industrie an einem Verbrechen steht, das zu viele gern vergessen möchten. Die Passanten wehrten teils heftig ab "Den Bagger nehmen und endlich alles flach machen" - oder sie machten um das Aktionsareal einen großen Bogen, was einige Jugendliche enttäuschte. Sie räumten aber auch ein, das gute Anliegen dieser Demo vorab nicht deutlich genug publik gemacht zu haben. "Aber wer sich auf ein Gespräch einlässt, ist ehrlich interessiert", ließ sich eine junge Frau nicht entmutigen. Für den Außenstehenden sei es wohl nicht leicht zwischen den kulturell Aktiven des Besetzten Hauses und den einfach nur dort Kampierenden zu unterscheiden. Aber beide gehören zusammen, hieß es in der Diskussion. Jugendliche bräuchten freie Räume für ihre Entwicklung. Doch auch bei uns gibt es Regeln, meinte eine der Jugendlichen. Die haben wir aber selbst aufgestellt.