Thüringer Allgemeine vom 11.02.2009

Gefühlte Ewigkeiten


Das dauert: Aus Sicht der Wartenden kommt die Feuerwehr immer viel zu spät
"Die Feuerwehr war zu langsam", fanden einige Erfurter Hausbesetzer nach dem Brand auf dem von ihnen bewohnten Gelände. Den Vorwurf hören Feuerwehrleute oft, haben aber eine einfache Erklärung: Beim Warten vor dem brennenden Zuhause fühlen sich Minuten an wie Stunden.
Von Malte WICKING

ERFURT. Plötzlich fällt der Strom aus. Es ist Mittwochabend, kurz vor neun, und eine Gruppe von Hausbesetzern sitzt in ihrem Hauptgebäude an der Rudolstädter Straße im Dunkeln. Die Ursache für den Kurzschluss: ein Brand im Nachbarhaus. Dort wohnt einer der Besetzer, er war bei den anderen im Hauptgebäude und muss jetzt von außen zusehen, wie die Dachgeschosswohnung brennt. Eine junge Frau aus dem Umfeld der Besetzer, die ihren Namen nicht nennen möchte, wählt 112. Es ist 20:56 Uhr.
Es tutet in der Leitstelle der Erfurter Feuerwehr an der B4, in der Nähe des Stadtteils Marbach. Das Tuten ist das Signal für Notrufe, Telefone klingeln hier nicht mehr, die vier Mitarbeiter nehmen Anrufe mit Kopfhörern und Mikrofon per Computer entgegen. Kaum eine Minute vergeht ohne Notruf, in diesem Moment kommt der aus dem besetzten Haus.
Der Anruf löst noch keinen Alarm aus. Erst muss die Leitstelle einiges klären: Wo brennt es, wie groß ist das Feuer, sind Personen im Gebäude? "Das dauert meist 90 Sekunden, aber schon diese Fragen kommen Anrufern viel zu lang vor", erklärt Lars Oschmann, Chef des Thüringer Feuerwehrverbandes.

So empfinden es auch die Besetzer, die gerade noch versuchen, das Feuer selbst zu löschen. Einige werden später schätzen, die Feuerwehr sei erst nach 20 Minuten gekommen. Der Vorwurf überrascht den obersten Feuerwehrmann nicht, obwohl er fast nie zutrifft: Wer seinem Haus beim Brennen zusieht, empfindet die Zeit natürlich als länger.
Um 20:59 Uhr löst die Leitstelle Alarm aus, drei Minuten nach dem Anruf. In spätestens zehn Minuten müssen die Einsatzkräfte am Ort sein, schreibt die Feuerwehrorganisationsverordnung vor. Per Mausklick schickt der Mitarbeiter der Leitstelle alle Informationen in die Fahrzeughalle einige Stockwerke unter ihm. Der Einsatzleiter nimmt die Notiz aus dem Drucker, die Wagen fahren los. Eine andere Behörde ist am besetzten Haus schon vorgefahren: die Polizei. Das beunruhigt die Bewohner, ihre Beziehung ist geprägt von gegenseitigem Misstrauen. Seit 2001 leben die Autonomen auf dem früheren Gelände der Firma Topf & Söhne, die in der Nazi-Zeit Verbrennungsöfen für Konzentrationslager herstellte. Am 15. Februar wird der Eigentümer das Gelände möglicherweise räumen lassen, die Anspannung zwischen Beamten und Besetzern ist hoch. "Wir haben ein paar Leute hingeschickt, falls Probleme auftreten", formuliert eine Polizeisprecherin. "Ein Scheißgefühl, die Polizei reinzulassen", sagt ein junger Besetzer. Doch es bleibt ruhig.

Es ist 21 Uhr, neun Minuten und fünf Sekunden, als der erste Feuerwehrwagen meldet: Ziel erreicht, nach zehn Minuten, trotz Glatteis. Verspätungen haben oft noch schlichtere Gründe als das Wetter: Straßennamen sind falsch oder Zufahrten zugeparkt. Trotzdem ist die Feuerwehr in Thüringen meist pünktlich, zumindest sind weder dem Innenministerium, noch dem Verband Beschwerden bekannt. Käme sie deutlich zu spät, könnten Betroffene die zuständige Gemeinde sogar auf Schadenersatz verklagen. Aber auch das gab es in Thüringen offenbar noch nie.
Beim Warten ist vor allem eines wichtig: sich in Sicherheit bringen. Eigene Löschversuche nützen nur selten, sind aber oft gefährlich, weil Betroffene sich dem giftigen Rauch und der Hitze aussetzen. "Beim brennenden Adventskranz hilft ein Wassereimer noch"; sagt Oschmann. "Bei größerem Feuer sind Eimer und Gartenschlauch zu schwach, deshalb heißt es immer: raus aus dem Haus. Ist der Flur verqualmt, sollte man die Tür schließen und am Fenster um Hilfe rufen aber nicht durch den Rauch laufen. Nach vier Atemzügen besteht Erstickungsgefahr."

Die brennende Wohnung auf dem besetzten Gelände ist leer, zum Glück. Die Einsatzkräfte betrachten das Haus von allen Seiten, und wieder fragen Wartende: "Warum löschen die nicht?" Auch das ist für Oschmann verständlich. "Hilfskräfte müssen die Lage prüfen, obwohl das für Betroffene so aussieht, als spazierten wir herum", sagt er. "Wir können aber nicht einfach drauflos löschen. Das würde uns und andere gefährden."
Der Einsatz beim besetzen Haus verläuft problemlos, nach mehreren Stunden ist das Feuer gelöscht. "Ausgelöst wurde es durch einen Ofen, der nicht an einen Kamin angeschlossen war", meldet die Polizei später.