Süddeutsche Zeitung vom 13.02.2009

Techniker des Todes


Topf & Söhne baute Krematorien für die Vernichtungslager der Nazis - jetzt wird die Fabrik abgerissen. Die Erinnerung an die "Techniker der Endlösung" soll jedoch bleiben.
Von Christiane Kohl, Erfurt

An der braunen Backsteinfassade der Außenmauern leuchten noch die bunten Graffiti-Gemälde der Hausbesetzer. Dahinter türmen sich schon die Trümmerhaufen übereinander - der gelbe Bagger, der inmitten des Industrieareals steht, hat bereits ganze Arbeit geleistet.
Halle für Halle wird derzeit das Werksgelände der einstigen Ofenbaufirma Topf & Söhne in Erfurt abgerissen. Acht Jahre lang lebten Hausbesetzer auf dem Areal, in der DDR-Zeit arbeitete auf dem Gelände ein staatseigener Betrieb. Das alte Verwaltungsgebäude ist nun mit neuen Gerüsten umstellt: Hier soll bald eine Ausstellung eingerichtet werden über die "Techniker der Endlösung".
Denn Topf & Söhne war nicht irgendeine Ofenbaufirma, das Unternehmen gehörte zu jenen Betrieben, die mit ihrem Know-how den Massenmord an den Juden technisch möglich machten.
Technische Zeichner und Mechaniker der Firma entwickelten in den vierziger Jahren Krematorien, die für den Dauerbetrieb eingerichtet waren - eben für den massenhaften Menschenmord in Auschwitz und anderen Vernichtungslagern der Nazis. "Stets gern für Sie beschäftigt", so lautete die Firmendevise von Topf & Söhne. In der alten Geschäftspost des Unternehmens pflegten die Firmenvertreter ihre Briefe an die SS mit dieser Höflichkeitsfloskel zu versehen.
Die Ausstellungsplaner möchten den Schriftzug bald weithin sichtbar an der Außenfassade des alten Verwaltungsgebäudes angebracht sehen, das gegenüber den Bahngleisen liegt - als Erinnerung für durchreisende Fahrgäste an das, was hier in Erfurt einst geschah.

Eher zufällig war das Unternehmen Topf & Söhne im Jahr 1939 in Geschäftsbeziehung zur SS gekommen. Im Konzentrationslager Buchenwald nahe bei Weimar, keine 40 Kilometer von Erfurt entfernt, war es nach einer Typhusepidemie zu so vielen Todesfällen gekommen, dass das städtische Krematorium nicht mehr in der Lage war, die vielen Leichen zu bewältigen.
Topf & Söhne wurde beauftragt, einen mobilen Leichenofen im Lager aufzustellen - das war der Anfang. Bald entwickelten die Konstrukteure die Verbrennungsstätten für Auschwitz, Dachau und Mauthausen. "Mindestens 25 Öfen mit 76 Muffen", berichtet die Historikerin Annegret Schüle, habe Topf & Söhne an die SS geliefert. Das Unternehmen hatte sich darauf spezialisiert, Öfen zu konstruieren, in denen mehrere sogenannte "Muffen" gleichzeitig betrieben werden konnten, wie die einzelnen Brennkammern im Fachjargon heißen.
Die Topf-Öfen waren mit besonderen Be- und Entlüftungsklappen ausgestattet, deshalb gaben die Nazis der Firma den Vorzug vor anderen Anbietern. Die Konstrukteure um den Erfurter Chefplaner und Oberingenieur Kurt Prüfer hatten sich auch schon früh Gedanken um die "Energieeinsparung beim Massenmord" gemacht, wie die Historikerin Schüle erklärt. So hatte man extralange Schürhaken entwickelt, um die Asche in den überdimensional großen Öfen zu bewegen, in denen täglich bis zu 2500 Menschen verbrannt wurden.
Auch die Abwärme der Brennkammern wurde höchst effizient genutzt. Die Topf-Monteure ersannen in Auschwitz ein System, wie mit der Abluft aus den Öfen die Gaskammern vorgeheizt werden konnten. Man hatte herausgefunden, dass das tödliche Gift Zyklon B seine optimale Wirkung bei 26 Grad Raumtemperatur entfaltete.
Nicht wenige der Topf-Techniker hatten bei der Montage in den Vernichtungslagern vermutlich Furchtbares gesehen und trotzdem weitergearbeitet. Dabei waren die meisten von ihnen nicht einmal überzeugte Nazis, wie die Historiker jetzt herausfanden - selbst KPD-Mitglieder waren unter den Technikern des Todes. Entsprechend könnte die Erinnerungsstätte in Erfurt auch ein Sinnbild für jene Firmen, Techniker und Bürokraten sein, die gleichsam auch aus Gedankenlosigkeit zu Mittätern am Massenmord wurden. So saß der Oberingenieur Prüfer mit seinen Mitarbeitern in einem weitläufigen Zeichensaal im Obergeschoss des einstigen Verwaltungsgebäudes von Topf & Söhne.

Die großen Fenster dort lenken noch heute den Blick auf die Bahngleise, auf denen von 1941 an massenhaft Menschen in jene Orte deportiert wurden, wo die Firmenvertreter von Topf & Söhne ihre Öfen montierten und warteten. "Bei klarem Wetter konnte man vom Zeichensaal auch den Glockenturm des Konzentrationslagers Buchenwald erkennen", sagt die Historikerin Schüle - dass die Techniker also nichts gewusst hätten von den Folgen ihres Tuns, kann man kaum glauben.
In den beiden oberen Stockwerken des Gebäudes, wo einst die technischen Zeichner saßen, soll nun ein kleines Museum entstehen. Rund um das Haus will man historische Spuren erhalten: So wird man künftig die Mauerreste der Montagehalle als eine Art begehbaren Grundriss besichtigen können, zudem wird auf dem Hof des Gebäudes ein etwa zwölf Meter langes Modell der Fabrik zu besichtigen sein - hergestellt aus Gusseisen, wie dereinst die Ofenklappen.
In knapp zwei Jahren soll die Erinnerungsstätte eingeweiht werden, am 27. Januar 2011, dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Schon in wenigen Wochen müssen die letzten Hausbesetzer das Gelände räumen. Die Jugendlichen hatten vor acht Jahren durch ihr Engagement erst den öffentlichen Blick auf das Gelände gelenkt - jetzt ist es zum Terrain der Historiker geworden.