Erfurt arbeitet eine furchtbare Firmengeschichte auf
Die Erfurter Firma Topf & Söhne hat die
Verbrennungsöfen für Auschwitz und die
Belüftungstechnik für die Gaskammern
geliefert. In Erfurt wollte sich daran lange
niemand erinnern. Jetzt entsteht auf dem
Firmengelände ein Erinnerungsort. Aber
autonome Hausbesetzer stören die Pläne.
Von Hilke Lorenz, Erfurt
Die Treppe war so repräsentativ, dass man
Ende der 40er Jahre für ein Erinnerungsfoto
Norbert Schneiders gesamte Berufsschulklasse
auf ihren Stufen gruppieren konnte.
Auf dem Dach des Hauses thronte ein Türmchen,
an dem einst weithin sichtbar der
Firmenname stand: Topf & Söhne. Ein Arbeitsleben
später läuft Norbert Schneider wieder
auf das Gebäude zu. Es ist eingerüstet. Der
zwischenzeitlich eingestürzte Dachreiter ist
schon wieder rekonstruiert, das Dach frisch
gedeckt. Ansonsten braucht man noch viel
Fantasie, um sich das Haus mit den in vielen
Schichten übereinandergeklebten Blümchentapeten,
den mit Graffiti überzogenen Wänden
und den demolierten Fenstern als den
Erfurter Erinnerungsort vorzustellen, der er
von Januar 2011 an sein soll.
Dieses Haus soll davon erzählen, wie sich
Menschen durch ihre tägliche Arbeit am
Holocaust beteiligten. Es ist kein Tatort, sondern
ein Täterort. Denn die Firma Topf &
Söhne baute für die Krematorien in den
Konzentrationslagern Auschwitz, Dachau, Buchenwald
und Mauthausen Verbrennungsöfen,
die sie so optimierte, dass in ihnen
Menschen in industriellem Ausmaß beseitigt
werden konnten. Und sie entwickelten ein
Belüftungssystem für die Gaskammern, so
dass dort ohne allzu große Pausen gemordet
werden konnte. Die Topf'schen Ingenieure
wurden so zu Komplizen der Endlösung, und
sie halfen, die Spuren des Mordes an den
europäischen Juden zu beseitigen.
Das Gebäude, durch dessen Treppenhaus
der Pensionär Norbert Schneider (77) und
der ehemalige Rechtsanwalt Gert Gutberlet
(70) jetzt nach oben streben, war die Denkerzentrale
dafür. Beide Männer gehören zum
Förderkreis Erinnerungsort Topf und Söhne.
Beide hat dieses in Vergessenheit geratene
Thema elektrisiert: Schneider, den Lehrling
im Nachfolgebetrieb, der dem Unternehmen
so viel verdankt, und Gutberlet, der sich
wunderte, dass in Erfurt niemand von diesem
Kapitel der Geschichte sprach. Er erinnert
sich noch gut, wie er bei der Stadt
einmal anfragte, ob man nicht einen Wegweiser
aufstellen könne, und man zurückfragte,
wer denn ein so verfallenes Gelände besuchen
wolle. Heute hat sich der Wind gedreht.
Es gehört zum guten Ton, sich für diesen
musealen Ort auszusprechen.
Noch gibt es Stellen in dem entkernten
Rohbau an der Sorbenstraße, von denen man
in das darunter liegende Stockwerk schauen
kann. Die Erfurter sind in den Jahren seit
1996, nach der Schließung der Firma, nicht
immer pfleglich mit dem ehemaligen
Topf'schen Firmensitz umgegangen. Heute
passt ein Wachdienst auf das Gelände auf.
Lange Jahre war es den Behörden ziemlich
egal, ob dort Schutt abgeladen, Baumaterial
gestohlen oder die Räume verwüstet wurden.
Der Verfall schien erwünscht. Erst im
Dezember 2003 stellte das Land Thüringen
das Verwaltungsgebäude unter Denkmalschutz.
Hartmut Topf (74), ein umtriebiger
und kreativer Geist, sagt deshalb: "Der Investor
ist ein großes Glück für uns." Hartmut
Topf ist kein direkter Nachfahre Ludwig und
Ernst-Wolfgang Topfs, den Firmeninhabern
während der Nazizeit. Die beiden sind seine
Großonkel. Darum hat er sich schon zu
einem frühen Zeitpunkt, Mitte der 90er
Jahre, dafür eingesetzt, den Ort nicht dem
Verfall preiszugeben. Dass es nun wirklich so
gekommen ist, wie es sich der Mann gewünscht
hat, dessen Familiennamen ihm
eine Verpflichtung war, das ist vielen Mitkämpfern
zu verdanken.
Da ist die rührige, von Kirchen, Gewerkschaft,
jüdischer Gemeinde und vielen Einzelpersonen
getragene Bürgerinitiative, die einfach
nicht von ihrem Plan ablassen wollte.
Dieses Jahr feiert sie ihren zehnten Geburtstag.
Seit einem Jahr firmiert sie als Verein.
Das zeugt von großer Hartnäckigkeit. Aber
auch die Historikerin Annegret Schüle ließ,
nachdem sie 2002 von der Gedenkstätte
Buchenwald mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung
der Topf'schen Firmengeschichte
beauftragt worden ist, nicht mehr locker. Sie
legte den Grund für die Ausstellung "Techniker
der Endlösung", die vom Jüdischen Museum
in Berlin aus durch Europa tourte und
2011 im Erinnerungsort dauerhaft einziehen
soll. Und dann ist da noch ein bunter Haufen
junger Leute, die im April 2001 einen Teil des
30 000 Quadratmeter großen Geländes besetzten
und dort ebenfalls ihre Form der
Geschichtsarbeit leisteten. Auch sie machten
Führungen auf dem Gelände. Der Förderkreis
reichte interessierte junge Besucher an die
Jugendlichen in der Wagenburg und an das
selbst verwaltete Kulturzentrum weiter. Bürger
und Autonome lebten in friedlicher Koexistenz
und ließen einander gewähren.
Seit ein Investor gefunden ist, gilt der
Konsens als brüchig. Der neue Herr im Hause
will das Werksgelände, das er von einem
Bankenkonsortium gekauft hat, mit Wohnungen
und Läden bebauen. Die Besetzer jedoch
wollen bleiben, bis sie eine andere Unterkunft
gefunden haben. Sie haben sich hier
häuslich eingerichtet, zahlen für Wasser und
Strom und sortieren den Müll. Die Räumungsklage
des Investors liegt inzwischen beim
Landgericht. Mitte März wird darüber verhandelt.
Für Ende März hat man den etwa 30
Bewohnern das Wasser gekündigt. "Dann
wird es ungemütlich", sagt Christian, der zu
den Besetzern der ersten Stunde gehört und
der auch sagt: "Der Investor wusste, das wir
auf dem Gelände sind, als er es kaufte."
Bundesweit in die Schlagzeilen gerieten
die Autonomen, als Sympathisanten von ihnen
die Kika-Figur Bernd, das Brot, entführten.
An ihrer Situation hat das nichts geändert.
Aber manche in der thüringischen Landeshauptstadt
haben jetzt Angst, dass es zu
einer Zwangsräumung kommen wird, dass
Bilder weltweit verbreitet werden von einem
Sondereinsatzkommando der Polizei, das
junge Autonome mit Gewalt wegräumt, und
dass die Leute dann sagen werden: "Seht her,
da ist er noch, der faschistische Staat."
Die Vorstellungen der Besetzer passen
jedenfalls in keinster Weise zu den Plänen
des neuen Besitzers. Die Stadt Erfurt ist ihm
durch eine Änderung des Nutzungsplans für
das Gelände entgegengekommen. Dafür wird
der Bauunternehmer aus Thüringen das
Topf’sche Verwaltungsgebäude zu dem Erinnerungsort
umbauen, den der Förderkreis
immer gefordert hat. Zwei Etagen wird die
Historikern Annegret Schüle als Beauftragte
der Stadt dort gestalten, sie wird eine Ausstellung,
eine Bibliothek und einen Begegnungsraum
dort einrichten. Ihre Energie scheint
unerschöpflich, auch wenn sie jetzt ein wenig
wehmütig auf das Areal schaut. "Ein
Gefühl der Trauer ist schon da", sagt sie und
deutet auf die Trümmerlandschaft, die rund
um das Haus entstanden ist. Denn die übrigen
Gebäude auf dem Werksareal - mit
Ausnahme des besetzten Teils - hat der
Investor in den letzten Wochen abreißen
lassen. Das war auch so vereinbart worden.
Und abgesehen von der autonomen Szene
sagt die Vernunft allen Beteiligten, es sei die
beste aller Lösungen, ebenso wie Rüdiger
Bender, der Vorsitzende des Vereins.
"Man hat dem Verfall zuschauen können",
erinnert sich Annegret Schüle und
schaut aus dem Fenster: Es ist genau dieser
Ausblick, der den Wahnsinn des letzten Jahrhunderts
verdeutlicht. Es war 1939, als die
Firma Topf & Söhne die Zusammenarbeit mit
der SS aufnahm. Der Blick wandert vom
dritten Stock des Verwaltungsgebäudes über
Erfurt zum Horizont, zu einem bewaldeten
Hügel in 25 Kilometer Entfernung. Der Ingenieur
Kurt Prüfer hatte hier im Konstruktionssaal
seinen Arbeitsplatz. Ein Tüftler, der ohne
Skrupel zum Techniker der Endlösung wurde.
Während er in Anlehnung an die Öfen für
die Tierkadaverbeseitigung auf der Weide für
das Konzentrationslager Buchenwald den ersten
transportablen Leichenverbrennungsofen
entwarf, muss er vom Büro aus zum Hügel
geschaut haben, zum Ettersberg über Weimar,
wo das KZ Buchenwald stand.
Der Blick verbindet eine bis Ende der
30er Jahre ganz normale deutsche Firma mit
der Stadt, die für den Geist Schillers und
Goethe steht. Er verbindet aber eben auch
den Zeichensaal der Topf'schen Konstrukteure
mit der Vernichtungsmaschine der Nazis.
Die Zeichner und Ingenieure gingen wie
die anderen der in Spitzenzeiten 1150 Männer
und Frauen der Topf'schen Belegschaft
frühmorgens zur Arbeit, fertigten dort die
Bestandteile der Verbrennungsöfen, verpackten
sie für den Versand, adressierten sie,
schrieben Lieferscheine und manchmal auch
Mahnungen an die SS im Lager Auschwitz.
Denn deren Zahlungsmoral war schlecht. Sie
wussten also, woran sie beteiligt waren.
Denn ihre Monteure waren über Monate vor
Ort - in Auschwitz etwa -, um die Verbrennungskammern
für die Krematorien und die
Belüftungssysteme für den Gebrauch der Gaskammern
zu installieren und zu warten. Sie
legten darüber ihren Chefs Ludwig und
Ernst-Wolfgang Topf in akribisch ausgefüllten
Stundenzetteln sowie mündlich Bericht
ab. Nur dass die Schlosser und Dreher, die
Zeichner und Kontoristen das alles im Mai
1945 bereits wieder vergessen hatten.
Sie wähnten sich auf der moralisch sicheren
Seite, denn ihre Arbeitgeber waren doch
keine blindwütigen Nationalsozialisten gewesen.
Und es gehörten schließlich zur Belegschaft
auch Kommunisten und Menschen,
von denen ein Elternteil Jude war.
Die Firmenleitung und der Betriebsrat
verständigten sich noch im April 1945 angesichts
drohender Untersuchungen, nur den
hygienischen Bedürfnissen in den Lagern entsprochen
zu haben, als sie die Krematorien in
den Konzentrationslagern bauten. Später erklärten
sie, unter Zwang gehandelt zu haben.
Der Firmenchef Ernst-Wolfgang Topf, der in
den Westen ging, hielt bis zu seinem Tod an
der These der "unschuldigen Öfen" fest. Nach
seiner Darstellung wurden die von seiner
Firma hergestellten mehrkammerigen Verbrennungsöfen
von der SS ohne Zutun der
Ofenbauer zweckentfremdet. Das war die in
Erfurt vorherrschende Sichtweise dessen,
was geschehen war. Und, dass die Ofenlieferungen
an die SS nur einen Bruchteil ausgemacht
haben. Neueste Berechnungen sagen,
dass es knapp zwei Prozent waren. So sah es
auch die nächste Generation der Mitarbeiter,
die beim DDR-Nachfolgebetrieb arbeitete.
Doch egal wie man es dreht und wendet,
diese zwei Prozent sind vor der Geschichte
der entscheidende Posten in der Firmenbilanz.
"Dies ist kein Ort wie jeder andere",
sagt die Historikerin Schüle. Und der Techniker
Norbert Schneider drückt es auf seine
Weise aus: "Der Schreibtisch ist ein Werkzeug.
Wichtig ist, was man damit macht."
Die SS war Kunde beim Ofenbauer
Der Bierbrauer Johann Andreas Topf gründete
1878 ein Unternehmen zur Herstellung
von Dampfkesselanlagen. Die Firma
"J. A. Topf & Söhne" warb selbstbewusst
mit dem Slogan "Topf in aller Welt". Am 4.
November 1942 ließ Fritz Sander, ein Ingenieur
der Firma, beim Berliner Patentamt
dann eine Erfindung von großer Tragweite
anmelden. Er beschrieb sie als "kontinuierlich
arbeitenden Leichenverbrennungsofen
für Massenbetrieb". Einer Müllverbrennungsanlage
gleich wollte er die Leichenverbrennung
perfektionieren. Heinrich
Himmlers SS war da schon Kunde bei
Ludwig und Ernst-Wolfgang Topf. Ihnen
kam eine Schlüsselfunktion bei der Endlösung
zu. Die Topf'schen Monteure reisten
nach Auschwitz. Am Morgen nach der
Inbetriebnahme des Krematoriums II im
März 1943, bei der 1492 Alte, Frauen und
Kinder aus dem Krakauer Ghetto vergast
worden waren, arbeitete der Monteur
Heinrich Messing weiter an der Entlüftung.
In seinen Aufzeichnungen spricht er
nicht mehr vom Leichenkeller, sondern
vom Auskleidekeller. Er wusste, was er tat.
Im Mai 1945 nahm sich Ludwig Topf
aus Angst vor einer Verhaftung das Leben.
Sein Bruder Ernst-Wolfgang siedelte nach
Westdeutschland über. Wieder meldete er
einen Krematoriumsofen zum Patent an.
In den 60er Jahren ging seine Firma jedoch
pleite. Im März 1946 verhafteten sowjetische
Offiziere vier leitende Angestellte der
Firma, darunter Kurt Prüfer und Fritz Sander.
Prüfer starb 1952 in Haft. Sander war
wenige Wochen nach seiner Verhaftung
gestorben. Die beiden anderen kamen
1955 frei. Aus dem Erfurter Werk wurde
später die VEB-Maschinenbaufabrik Nikos
Belojannis. Von den 50er Jahren bis zum
Konkurs 1996 wurde daraus der EMS, der
Erfurter Mälzer- und Speicherbau.