Von Anke Engelmann, Erfurt
Kritik an Urteilen gegen Unterstützer
Das besetzte Haus in Erfurt ist Geschichte: Am Donnerstagmorgen wurde es von Polizeieinheiten aus Thüringen, Sachsen und Bayern geräumt.
Sechs Uhr morgens. Die Ausfahrtstraße Richtung Weimar sei wegen eines Polizeieinsatzes gesperrt, heißt es in den Nachrichten. Zwei Hubschrauber kreisen über dem besetzten Haus in der Rudolstädter Straße. Polizisten seilen sich auf die Dächer ab. Erst danach lösen die Beamten eine Sitzblockade von 30 bis 40 Personen auf. Insgesamt wurden bei der Räumung 60 Menschen in Gewahrsam genommen, gegen sie wird wegen Land- und Hausfriedensbruch ermittelt. Nach der Räumung präsentierte die Polizei »Waffenfunde«, berichtet Susanne Hennig, Landtagsabgeordnete der Thüringer LINKEN: Werkzeug, Körbe mit Steinen, ein uraltes Luftgewehr, »Molotowcocktails«. Ihrer Ansicht nach wurden die Gegenstände zum Teil zu Waffen »hochstilisiert«. Die Räumung verlief laut Polizei weitgehend friedlich. Im Verlauf des Tages kam es jedoch in der Erfurter Innenstadt immer wieder zu Auseinandersetzungen. Den ganzen Tag über sammelten sich Sympathisanten auf dem Anger, für den Abend war eine Demo geplant.
Unterstützer zu Besetzern gemacht
Das Haus wurde geräumt, obwohl ein entsprechendes Gerichtsurteil nicht sattelfest ist, heißt es aus Unterstützerkreisen. Anfang April hatte das Landgericht Erfurt 19 Personen aus dem Besetzer-Umfeld per einstweiliger Verfügung verurteilt, das Gelände zu räumen und ihnen 80 Prozent der Verfahrenskosten aufgebürdet. Die Daten der Verurteilten waren der Polizei wohl eher zufällig in die Hände geraten - wie die von Michel Raab, der anwesend war, als im Februar die ehemalige Schweißerei auf dem Gelände in Flammen aufging. Pech für den 36-Jährigen: Damals identifizierte ihn die Polizei als "Wortführer der Besetzer".
Das Gericht war in Erklärungsnot, weil keiner der 20 bis 30 Besetzer im Haus gemeldet war. So befand es in seiner Urteilsbegründung, es sei »glaubhaft«, dass alle 19 Verurteilten Hausbesetzer seien. Zwei Drittel von ihnen bestreiten das jedoch. Sie hätten lediglich zum Unterstützerkreis gehört, waren wegen der drohenden Räumung vor Ort wenn es brenzlig aussah oder beteiligten sich an Aktionen. In den letzten Monaten lebte das Haus in ständiger Alarmbereitschaft, es gab zudem immer wieder Soli-Aktionen und Demos.
Weiter auf der Suche nach Alternativobjekt
Linke Gruppen hatten empört auf die Verurteilung der »ideellen Besetzer« reagiert. Wenn bürgerschaftliches Engagement kriminalisiert werde, werde irgendwann niemand mehr den Mund aufmachen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der DGB-Jugend Thüringen, der Grünen Jugend, des Bildungskollektivs BiKo und des Jugendbüros RedRoXX. Die Besetzer haben indes angekündigt, weiter nach einem Ersatzobjekt zu suchen. »Wir wollen diesen Anlaufpunkt auf jeden Fall erhalten«, sagte ein Sprecher.
Die Industriebrache war seit acht Jahren besetzt, in dem Wohn- und Veranstaltungsprojekt liefen Konzerte, Lesungen, Diskussionen und Antifa-Arbeit. Mit Führungen und einer Ausstellung wurde zudem an die Beteiligung des früheren Eigentümers, die Firma Topf & Söhne, an KZ der Nazizeit erinnert.