Deutschland denken heißt Auschwitz denken ! - Der Wandel der Geschichts- und Erinnerungspolitik Deutschlands und Erfurts

1. Redebeitrag:
Plan B statt Tachnet B - oder Warum die Konsequenz aus dem Nationalsozialismus Nie wieder Deutschland heißen muß !

Heute, am 13. April, jährt sich Tachnet Bet, der jüdische Plan B, zum 56. Mal. Er bezeichnet den Plan jüdischer Überlebender, sich an SS-Männern in Internierungslagern in Dachau und Nürnberg für ihre mörderische Arbeit zu rächen, die sie im Dritten Reich ausgeführt haben. Mittels in Brotlaibe injiziertes Arsen sollten im Jahr 1946 12-15.000 deutsche Nazis im Nürnberger Internierungslager umgebacht werden. Die Aktion ging leider schief und es erkrankten nur ca. 2000 Häftlinge für eine kurze Zeit.

Die Stadt Erfurt scheint nicht Tachnet Bet zu bevorzugen, um adäquat auf die Shoah, den Holocaust zu antworten, sondern hat ihren eigenen "Plan B", so der neue Bebauungsplan für das alte Topf- und Söhne-Gelände in der Rudolstädter Straße/Hirnziegenweg, um mit den Holocaustumzugehen. Nun, auf diesem neuen Bebauungsplan ist noch nicht einmal eine Gedenkstätte vorgesehen für einen Förderkreis, der dort an die Taten der normalen deutschen ArbeiterInnen erinnern will, die die Shoah ermöglicht haben. Doch wenn dieser Förderkreis für eine Gedenkstätte auf dem Gelände Glück hat, bekommen sie einen Sonderantrag für das ehemalige Verwaltungsgebäude der Firma Topf- und Söhne, und wer weiß, vielleicht auch nur zwei Räume. Der Rest, z. B. auch die alte ZwangsarbeiterInnen-Baracke, wird freigegeben und neu bebaut. Die Normalisierung geht voran.

Die Firma Topf- und Söhne steht für ein typisches Beispiel eines deutschen mittelständischen Unternehmens, das als Gewinner einer deutschen Krisenbewältigung angesehen werden kann. Noch während der Weltwirtschaftskrise des Fordismus im Jahre 1932 ging es bergab mit dem Unternehmen, doch seit dem Krieg gegen das Ostjudentum bzw. das ganze europäische Judentum Ende der 30er Jahre ging es wieder aufwärts mit dem vormals recht bescheidenen Ofenhersteller. Zur Vernichtung der so sehr gewünschten Verkörperung des Kapitalismus - oder besser seines Abstrakt-Unvorstellbaren des Unheils, der Weltmächtigen, der "Gegenrasse", der Gefahr aus dem Osten, kurzgesagt mit den Worten einer wahnwitzigen Antisemitin: der Juden waren sie aufgezogen: die Deutschen. Und so tat auch die Firma Topf- und Söhne das ihrige dazu, um mit der Shoah Ruhe in die deutsche Seele zu bringen.

Ab den 40er Jahren dann wurden auch wieder schwarze Zahlen geschrieben, nachdem auch die Deutsche Bank endlich einen Kredit zugesprochen hatte, da nun endlich ein erfolgversprechendes Unternehmen im Bau von Verbrennungsöfen der KZs Auschwitzs, Buchenwald, Mittelbau-Dora u.a. gesehen wurde. Der Nationalsozialismus, diese speziell deutsche Form der Krisenbewältigung der periodisch auftretenden Krisen des Kapitalismus brachte also dem mittelständischen Unternehmen wieder Aufwind.

Gefördert werden in Thüringen, nicht anders als sonst wo in Deutschland und Österreich auch, einige wenige Stätten der (meist jüdischen) Opfer, ohne zu nennen, wer ihnen Leid angetan hat. So würde am liebsten über Topf-und Söhne geschwiegen werden. Trotzdem finden sich in der Online-Chronik der Stadt auch nur 2 Einträge, um zu benennen, was den jüdischen EinwohnerInnen in Erfurt widerfuhr.

Die Saison scheint eher den Opfermythos der Deutschen zu bevorzugen: Entsprechend hoch sind auch im April 2002 die Verkaufszahlen des neuen Deutsche-waren-auch-Opfer-Romans von Günter Grass, dessen Setting die Bombardierung eines NS-Schiffs voll mit deutschen Soldaten und ehemaligen BewohnerInnen der Ostgebiete durch ein sowjetisches Flugzeug bildet. Und auch in Erfurt sollen sich die volksdeutschen EinwohnerInnen des zweiten Weltkrieges und wohl auch eine Menge ihrer Nachkommen sich auch einmal so richtig fremdengehasst, endlich einmal wie die Passagiere des NS-Schiffs Wilhelm Gustloff im Krebsgang fühlen können: Der Sieg der Alliierten über Deutschland wird sich im Mai zum 57. Mal jähren. Doch anstatt sich über die Befreiung vom Faschismus zu freuen, wird in vollen 17 Einträgen fast akribisch und bedrückend die Bombardierung Erfurts durch die Alliierten 1945 bzw. das drohende Vorrücken der amerikanischen Front in der Online-Chronik nachgezeichnet.

Nun, wenn schon kein Morgenthau-Plan (1) und auch keine Tachnet Bet für Erfurt , so soll auch der deutsche Plan B nicht sein. Entsprechend des der jüdischen Nach-Shoah-Kunst entlehnten Motivs der immerwährender Leere an der Stelle der fast vollständigen Vernichtung oder Vertreibung des europäischen Judentums soll auch das Gelände von Topf- und Söhne eine immerwährende Leere zieren.

Keine andere Stadtchronik, kein anderer Bebauungsplan, sondern nie wieder Deutschland !


(1) nach dem Morgenthau-Plan hätte das Nachkriegsdeutschland ein industriell demontiertes Agrarland werden sollen

2. Redebeitrag:
Nochmal vertreiben ! Der Geschichtsrevisionismus des Bundes der Vertriebenen und Warum er zu Deutschlands neuer Rolle paßt !

Die jüngsten Ereignisse um die Diskussion der Vertreibungen nach dem zweiten Weltkrieg sind nicht mehr überraschend, sondern passen in das neue Gesicht des erstarkten Deutschlands. Die Zäsur von Geschichtsgedächtnis und Geschichstrevisionismus war der Kosovokrieg. Seit diesem Zeitpunkt getraut sich Deutschland wieder Großmachtstreben an den Tag zulegen, nicht trotz, sondern wegen Auschwitz.

Haben noch vor ´98 Projekte wie die Wehrmachtsausstellung gezeigt, dass man um eine Auseinandersetzung bemüht ist, wenn auch nur oberflächlich und ohne das Aufzeigen der noch bestehenden Kontinuitäten, zeigt sich seit dem Kosovokrieg eine Tendenz die immer noch erschreckend, aber mittlerweile Normalität ist. Während Walser in seiner Rede in der Paulskirche schon von der nicht endenden Schande und dessen Instrumentalisierung sprechen konnte, kann Fischer sich heute auch von jeder moralischen Last befreien und die Vertreibung von ´45 als unrechtlich darstellen. Dies ist nicht nur der Verdienst einer Schuld leugnenden deutschen Gesellschaft, sondern auch der Vertriebenen-Verbände, die ihr angebliches Recht auf Entschädigung immer wieder einfordern.

Der BdV, der auch in Erfurt eine Geschäftsstelle unterhält, ist der mit 2 Millionen Mitgliedern zweitgrößte Verein in Deutschland. Der BdV fordert bis heute das Rückkehrrecht für die Ausgesiedelten aus den Gebieten von Polen, Russland, Tschechien und der Slowakei nach dem Sieg der Alliierten des 2.Weltkrieges. Diese Aussiedlung war notwendig, damit Deutschland diese Gebiete nicht wieder als Brückenkopf vor möglichen Expansionsversuchen nutzen kann. Außerdem wird eine finanzielle Entschädigung der Vertriebenen und die Förderung der deutschen Kultur in diesen Gebieten eingefordert. Die Grenzen der heutigen Bundesrepublik werden angezweifelt und die Wiederherstellung der Grenzen von 1937 forciert. Was in der ehem. DDR noch verboten war, fördert die deutsche Bundesregierung heute nicht nur finanziell, sondern auch politisch.

In einem Interview bezeichnete der tschechische Ministerpräsident Milos Zeman die "Sudetendeutschen" als "fünfte Kolonne Hitlers", da 1938 über 90% die faschistische Hitler-verehrende Henlein-Partei in Tschechien gewählt hatten. Sie nutzten damit demokratische Strukturen, um das völkische Projekt von Großdeutschland zu realisieren und mit der Vertreibung wurden sie noch verschont, weil eigentlich auf Landesverrat zu der Zeit die Todesstrafe stand. Auf diese zwar provokante, aber doch recht zutreffende Äußerung, wurde nach deutscher völkischer Manier von allen Seiten prompt reagiert. Gerhard Schröder stellte fest: "Vertreibung, daran kann kein Zweifel sein, ist stets ein Unrecht", aber auch Günter Grass bestimmt den Diskurs. Er unterstützt alle alten und neuen Vertriebenen und meint, ihre Forderung nach einem "Recht auf Heimat" müsse nur öfter gestellt werden.

Das es sich nicht nur um "Irritationen" (so Fischer) von Zeman handelt, beweist, dass er nicht allein ist mit dieser Meinung, denn über Parteigrenzen hinweg steht die tschechische Bevölkerung hinter ihm. Denn es besteht ja auch der Konsens, dass die Benes-Dekrete ihre Rechtsgültigkeit behalten müssen, in denen u.a. verankert ist, dass die Enteignung und die Aussiedlung der Deutschen, die mit den Nazis zusammenarbeiteten, rechtsgültig ist, was bis heute die Entschädigungsforderungen der Nachfahren verhindert.

Die Frage ist nur, wie lange Tschechien diese zu begrüßenden Standpunkte noch halten kann, da es ein Anwärterland für die EU ist, und der Druck immer größer wird. Deutschland nutzt seine Vormachtstellung innerhalb der EU, um Geschichtsrevisionismus zur Regierungspolitik zu machen und das Konzept einer "Welt freier Völker" weiter zu realisieren. Die tschechische Regierung wird bald vor der Entscheidung stehen, EU-Eintritt oder Benes-Dekrete.

Aber nicht nur auf Bundesebene wird Geschichte munter verdreht, sondern auch auf der Thüringer Landesebene werden Verharmlosungen des Holocaust` wie die von Dr. Paul Lattusek, ehem. Vorsitzender des Thüringer Landesverbandes des BdV, unterstützt.

Zwar wurden die Fördermittel kurzfristig gestrichen und ein parlamentarischer Abend abgesagt, nachdem sich Lattusek wiederholt des Geschichtsrevisionismus bediente, und aus Tätern Opfer machte, aber am "Tag der Heimat" in Erfurt sprachen der Oberbürgermeister Ruge, die Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht und der Ministerpräsident Bernhard Vogel. Damit legitimierten und stützten sie die Forderungen des BdV in der Öffentlichkeit und machten sie salonfähig. Lattusek steht nicht allein da mit seiner Linie er wurde mit 98% wiedergewählt. Es besteht kaum Anlaß zur Hoffnung, dass die alten Naziveteranen bald aussterben, da durch die Erbbarkeit des Vertriebenenstatus ihre Nachkommen mit den gleichen Positionen die Politik weiterbetreiben werden wie ihre Eltern.