Redebeitrag zur Kundgebung "Gegen deutschen Opfermythos" am 7.5.05 in Erfurt


Das der Umgang mit der Geschichte des Nationalsozialismus in Deutschland oft mit der Absicht geschieht, Täter und Opfer einander anzugleichen und eine Verbindung des NS zur heutigen, angeblich geläuterten deutschen Nation zu verneinen, ließe sich beispielsweise anhand der Gedenkfeiern zur Bombardierung Dresdens darstellen. Es ist jedoch gar nicht notwendig, so weit in die Ferne zu schweifen, schließlich gibt es auch in der näheren Umgebung genug Beispiele für diesen Umgang mit der Geschichte.
So wurde beispielsweise bei den Gedenkfeierlichkeiten anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers in Buchenwald einem ehemaligen Häftling das Mikrofon abgedreht, als er auf die Forderung nach Entschädigung für Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen zu sprechen kommen wollte.

Ein anderes lokales Beispiel mit besonders widerwärtiger Geschichtsverdrehung findet sich in der Darstellung der Ereignisse des Jahres 1945 in der Stadtchronik von Erfurt-Dittelstedt . Hier wird nicht nur konsequent die Perspektive des leider verloren gegangenen Krieges eingenommen, beispielsweise mit Aussagen wie "nach dreitägigem Kampf [...] musste ihnen (den Amerikanern) auch Erfurt übergeben werden", sondern auch die Ereignisse unmittelbar nach dem Kriegsende in einer Art und Weise dargestellt, dass mensch nur ungläubig mit dem Kopf schütteln kann. Da ist die Rede von "ausländischen Fremdarbeitern [...] die ohne Arbeit und Aufgabe [...] meist raubend, plündernd und stehlend in der Umgegend herum" zogen. Es wird gejammert über die von den "Fremdarbeitern" gestohlenen Schafe und über die "Repressalien der befreiten Fremdarbeiter gegen Einwohner Dittelstedts". Nur zur Erinnerung: Die "ausländischen Fremdarbeiter" "ohne Arbeit und Aufgabe" sind ZwangsarbeiterInnen, die nach Deutschland verschleppt wurden, um hier jahrelang unter anderem für die Einwohner Dittelstedts zu schuften. In der Dittelstedtschen Geschichtsschreibung werden die EinwohnerInnen Dittelstedts, also die, welche unter anderem jahrelang von den billigen Zwangsarbeitskräften profitierten, zu den Opfern derer, die nach Deutschland verschleppt wurden. Diese Art der Geschichtsschreibung steht beispielhaft, für die Bestrebungen das eigene Leid stärker in den Vordergrund zu rücken, auch wenn dabei nur selten das Schicksal der eigentlichen Opfer so konsequent ausgeblendet wird wie hier.

Einer der Orte an denen die Beteiligung der normalen deutschen Bevölkerung am Holocaust am erschreckendsten ins Auge sticht ist das Topf & Söhne Gelände in Erfurt. Das das Gelände keine Industriebrache, wie viele andere in Deutschland ist, sondern einer der wenigen expliziten Orte, an denen das Handeln der zivilen Täter im Nationalsozialismus deutlich wird, hat sich wohl mittlerweile auch bis zur Stadtverordnetenversammlung herumgesprochen.
Auf dem Gelände war seit 1878 die Erfurter Traditionsfirma Topf & Söhne beheimatet. Während der Zeit des Nationalsozialismus produzierte die Firma Krematoriumsöfen und Teile der Gaskammertechnik für Konzentrations- und Vernichtungslager, wie Auschwitz und Buchenwald. Damit lieferte die Firma eine der technischen Grundlagen, die die Vernichtung von unter anderem 6 Millionen Jüdinnen und Juden erst ermöglichte. Obwohl die Herstellung der Krematoriumsöfen finanziell nur einen relativ unbedeutenden Nebenzweig der Produktion von Topf & Söhne darstellte, waren über 100 Beschäftigte mit der Krematoriumsplanung und - herstellung beauftragt.
Es waren Ingenieure und Techniker der Firma Topf & Söhne, die durch selbstvorgenommene Montage, Wartung und Perfektionierung der Anlagen in den Konzentrationslagern vom Einsatz und der Konsequenz ihres Produktes genaue Kenntnis hatten. Einzelne Ingenieure bemühten sich teilweise selbst in ihrer Freizeit darum, die "Effizienz" der Öfen zu verbessern. Mitarbeiter der Firma inspizierten den Aufbau der Öfen in den Lagern und übernahmen auch die Wartung vor Ort.
Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass auf Topf & Söhne Druck ausgeübt worden wäre, um die Aufträge anzunehmen - ganz im Gegenteil: Die Firma bemühte sich in klassischem Geschäftsgebaren die Firma Kori aus Berlin auszustechen um die Aufträge zu erhalten. Das Verhalten der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Topf & Söhne kann als symptomatisch für das Verhalten der deutschen Bevölkerung während des Natinalsozialismus gesehen werden. In Bezug auf den Holocaust waren Verhaltensweisen wie Tolerierung, stillschweigende Zustimmung und aktive Beteiligung vorherrschend. Nicht zuletzt profitierte ein Großteil der Bevölkerung nebenbei auch durch Enteignungen und den billigen Erwerb des ehemaligen Eigentums der ermordeten Jüdinnen und Juden am Holocaust. Ohne die weitreichende Zustimmung und Unterstützung der deutschen Bevölkerung, wäre ein solch umfassendes Vernichtungsprojekt wie der Holocaust auch nicht möglich gewesen. Nicht zuletzt anhand dieses Aspekts ist zu belegen, dass die derzeit populäre Sicht auf den 8.Mai als Tag der Befreiung der Deutschen falsch ist. Nicht die deutsche Bevölkerung war das Opfer des Nationalsozialismus, sondern die Millionen ermordeter Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma und andere.

Der Versuch die Deutschen als Opfer darzustellen dient dazu, die Deutschen in die Reihe der Opfer des Nationalszialismus gleichberechtigt mit einzureihen oder gar Täter und Opfer zu vertauschen. Zu beobachten ist dies zum Beispiel in den Vertriebenendebatten, bei Gedenkfeiern der bombardierten deutschen Städte und der der derzeitigen Thematisierung des Leidens der deutschen Bevölkerung während der letzten Kriegstage. Der Tenor dieser Aussage ist dann: "Es war halt eine schreckliche Zeit und alle haben sich damals falsch verhalten." Diese Position ist besonders vor dem Hintergrund des Versuchs, Deutschland wieder zu einer "normalen Nation" zu machen, abzulehnen. Dem entgegenzusetzen ist eine Auseinandersetzung damit, wer damals warum zum Täter wurde und welche Ideologie zu diesem Handeln führte.



Die BesetzerInnen des ehemaligen Topf & Söhne Geländes