Die NPD versucht z.Zt. mit einem Flugblatt unter dem Motto: "Nein zur Agenda 2010 - ein neues System bietet neue Möglichkeiten" Hartz4-Proteste für sich zu vereinnahmen. Die darin aufgeführten geistigen Ergüsse sind es wert, einmal genauer unter die Lupe genommen zu werden.
Die Phrasen
Die NPD gibt sich zum Thema Agenda 2010 sozial oder gar "sozialistisch" und möchte eine "Volkswirtschaft" aufbauen. Den Thesen dazu sieht mensch an, dass sie auf MontagsdemonstrantInnen zugeschnitten sind. Dabei möchte die NPD eine "grundsätzliche Wende herbeiführen. Diese will sie mit markigen Sprüchen erreichen, wie: "...1. Die Wirtschaft hat dem Volke zu dienen. 2. Arbeit als solches ist wichtiger als Kapital (vor allem Spekulantentum), 3. Der natürliche Lebensraum ist wichtiger als Weltwirtschaft. ..."
Schade, dass eine der deutschesten Parteien Deutschlands grammatikalisch nicht ganz so sattelfest ist (siehe Punkt 2). Amüsant dagegen die Behauptung, Arbeit sei wichtiger als Kapital (vor allem "Spekulantentum"). An die NPD: jede Arbeit, vor allem die, die ihr meint, ist Lohnarbeit. Diese Lohnarbeit (von Marx auch "variables Kapital" genannt) wird nur eingekauft, wenn mit ihr Gewinn erzielt werden kann. Diese Hoffnung auf Gewinn ist nix anderes als Spekulation. "Spekulantentum" ist jede gewinnerhoffende Unernehmung und sei sie noch so "ehrliche deutsche Wertarbeit".
Die anderen beiden Punkte sind nicht gehaltvoller, oder ist Deutschland ein Urwald, der vor der Weltwirtschaft gerettet werden muss? Die Aussage, dass die Wirtschaft dem Volke dienen solle, blamiert sich schon bei den Auslassungen im selben Flublatt zur Familienpolitik. Dort soll der Bevölkerungszuwachs dem Sozialstaat (der ja wohl die Basis der Wirtschaft darstellen soll) dienen, also soll das Volk der Wirtschaft dienen: mit vielen kleinen Kinderlein.
Die NPD möchte die Arbeit vor dem "Spekulantentum" schützen, dass die Deutschen wieder viele Kinderchen bekommen, dass die Jugend mehr Sport treibt, dass keine Geschmacksverstärker mehr im Essen vorkommen ("Volksgesundheit statt Seuchenkapitalismus"), dass deutsche Unternehmer vorrangig in Deutschland investieren und dass die Renten durch Besteuerung "vagabundierenen Kapitals" (hier "Auslandsaufwendungen" genannt) "... auf einen angemessenen Stand gebracht. ..." werden. Dies Alles nur für Deutsche. Genug für deutsche Kleinhirne, begeistert NPD zu wählen.
Im Kontext
Was ist daran das andere System, welches so vollmundig versprochen wurde? Patriotismusforderungen an die deutsche Wirtschaft kommen von allen großen Parteien, "Volksgesundheit" wird genauso von Grünen wie Renate Künast verlangt, z.B. wenn sie gegen verfettete Kinder hetzt. Biopolitische Sorgen um die Überalterung der Gesellschaft macht sich jede der etablierten Parteien. Und das Genörgel über Geschmacksverstärker im McDonalds-Fraß gehört zum Repertoire eines jeden miefigen Bioladens. Was ist also neu an den Forderungen der NPD? Vielleicht, dass hier vehementer ein Nationaler Staatskapitalismus verlangt wird?
Das gefährliche ist, dass es für die NPD und andere rechte Gruppierungen im öffentlichen Diskurs (also das, was für Usus und unhinterfragbar gehalten wird) genügend Punkte zum Andocken gibt. Sie vertritt inhaltlich zum Thema Hartz4 kaum etwas anderes als die etablierte Politik und leider auch als ein Großteil der Anti-Hartz-Proteste. Überall, wo es darum geht:
- den Standort Deutschland zu retten,
- Arbeit um jeden Preis zu fordern,
- Globalisierung generell als eine Bedrohung von außen zu verstehen,
- nationalistisch und rassistisch auszugrenzen,
- antisemitsche Hetze zu betreiben und zu dulden,
- autoritäre Lösungen zu fordern,
- Frauen auf Kinder kriegen und Haushalt zu reduzieren,
- Deutsche als Opfer eines von Ihnen angezettelten Krieges zu zelebrieren,
da sind Rechte zuhause. Mensch könnte eigentlich unterstellen mitten unter ehrbaren Demokraten. Häufig ist nämlich die Abgrenzung der sogenannten demokratischen Mitte gegenüber dem rechten Milieu nur eine kulturelle. Der Standort Deutschland könnte ja durch die unappetitlichen Glatzenaufläufe geschädigt werden, womit dann Antifaschismus wieder eine patriotische Tat für Deutschland wäre.
Sich dem braunen Mob entgegenzustellen, heißt ihnen nicht Themen wie Sozialabbau zu überlassen, aber auch reaktionäre Elemente innerhalb der Sozialabbau-Proteste offenzulegen. Die Naziaufmärsche zu verhindern, bedeutet auch die Straße ihnen nicht zu überlassen. Nazis sind gemeingefährlich für Alle, die eh schon von der Gesellschaft an den Rand gedrückt werden: Flüchtlinge, Obdachlose, Homosexuelle, Juden, Linke und Subkulturen etc. Dies beweisen schon fast alltägliche Gewalttätigkeiten in den Browntowns Deutschlands.
Geschichtsrevisionismus
Während die NPD in Sachen Sozialabbau schlecht getarnte Samtpfötchen zeigt, wird sie in Sachen Geschichtsrevisionismus deutlicher. Der Eklat im Sächsischen Landtag um das Gedenken an die Bombardierung Dresdens, die geplante Demonstration am 8.Mai durch das Brandenburger Tor in Berlin (mit der sagenhaften Parole: "Arbeit statt Vergangenheits-bewältigung"), allgemein die permanente Verdrehung von Opfern und TäterInnen bei dem Umgang mit dem zweiten Weltkrieg; all dies sind Beispiele für den reaktionären Umgang der NPD mit deutscher Geschichte.
Opfer und TäterInnen
In der permanenten Verdrehung von Opfern und TäterInnen sucht die NPD Anschluss an einen Diskurs, der in der deutschen Öffentlichkeit gerade angesagt ist: Deutsche zelebrieren sich als Opfer des 2.Weltkrieges und bejammern ihr eigenes Leid. Dies ist dem Versuch geschuldet, die Deutsche Nation als eine "normale" Nation erscheinen zu lassen. Schließlich ist es "normal", auch die eigenen Verluste und das eigene Leid ins Spiel zu bringen. So werden die BefürworterInnen des totalen Krieges zu Opfern desselben umgedeutet. Im geschichtlichen Diskurs der BRD kann die Kriegsschuld Deutschlands nie ganz vollständig hinter diesem Opferkult verschwinden. Die NPD sieht dagegen paranoiderweise nur ein Opfer, nämlich das Deutsche Volk. Diesem Geschichtsrevisionismus und allen abgeschwächten Formen in der bürgerlichen Gesellschaft muss vehement widersprochen werden.
Verdeckter Antisemitismus
Unter anderem durch die Diskussion, um Martin Walsers Buch "Tod eines Kritikers" wurde deutlich, dass antisemitische Stereotype nicht aus der Gesellschaft verschwunden sind. Im Gegensatz zu der literarisch verklausulierten Form der Ressentiments bei Walser stechen die antisemitischen Stereotype im Jargon der NPD relativ offen ins Auge. Auf dem Plakat zur Demo am 8.Mai beklagt sich die NPD über "die kleine Minderheit [...], welche aus dem Schuldkult gegenüber der deutschen Nation ihre Milliardenzahlungen zieht." Unschwer lässt sich hier ein Seitenhieb gegen den Zentralrat der Juden in Deutschland sowie Jewish Claims Conference erkennen. Nur das drohende Verbot der NPD verhindert deutlichere Formulierungen.
Hier ist der sekundäre Antisemitismus erkennbar, nämlich an dem Ressentiment, dass "die Juden" auch noch aus ihrer Vernichtung Geld machen wollen, wenn sie nicht gar auch noch selber an dem Holocaust Schuld seien sollen. Das Gewetter gegen Synagogenbau, die neuentdeckte Liebe zu Palästina, das Gemecker über "Spekulantentum" und globales Finanzkapital (vornehmlich an der Ostküste der USA natürlich) lassen antisemitische Stereotype deutlich werden, auch ohne Juden und Jüdinnen explizit nennen zu müssen.
Straßenterror und Verbindungen zu Freien Nationalisten
Gerade in Gebieten, wo die NPD Wahlerfolge feiert (Pirna, Sächsische Schweiz) entstehen zunehmend National Befreite Zonen, in denen Neonazis faktisch zur zweiten Hegemonialmacht neben dem Staat auf der Straße avancieren. Obendrein werden sie als Verhandlungspartner von KommunalpolitikerInnen ernst genommen. Es entsteht ein rechter Konsens in der Bevölkerung, der durch stille Zustimmung und Vertuschung rechter Umtriebe, diesen freie Hand lässt. Die NestbeschmutzerInnen sind dann die, die auf den Missstand hinweisen. Daraus ergeben sich alltägliche Gefahren für z.B. Nichtdeutsche, Andersdenkende, Homosexuelle und Jugendsubkulturen, denen das Deutschtum am Arsch vorbei geht. So boten im Vorfeld der Antifademo "Schöner Leben ohne Naziläden" am 27.11.2004 die NPD-Abgeordneten im Pirnaer Stadtrat unter Beifall desselben an, ihre Demoanmeldung sofort zurückzuziehen, sobald die Antifademo verboten werden würde. Abgesehen davon, dass hier die NPD immer häufiger zum Sprachrohr von "Freien Kameradschaften" wird, scheinen hier nicht die sich mehrenden Übergriffe der Nazis das Problem zu sein, sondern die Antifademo. Zivilcourage in der Sächsischen Schweiz.
Fazit
Mag sein, dass die NPD nur eine Randerscheinung ist. Ihre Ideologie ist in diesem Lande in der Mitte der Gesellschaft verankert. Deshalb ist sie als Schnittstelle zur militanten Neonaziszene ernst zu nehmen. Eine Mobilisierung gegen ihre Aufmärsche muss sich gegen die militante Bedrohung, aber auch gegen diese Verankerung in der Mitte der Gesellschaft richten. Die Abgrenzung muss eine inhaltliche, nicht nur eine kulturelle sein. Es geht nicht darum, dass Deutschlands Image von hässlichen Glatzen beschmutzt wird, sondern darum, dem wiedererstarkenden deutschen Patriotismus Einhalt zu gebieten, der auch von den etablierten Parteien getragen wird, und dessen konsequenteste Vertreter jedoch NPD und freie Kameradschaften sind. In diesem Sinne:
Kein Fußbreit den Faschisten,
kein Buckeln für Deutschland,
ein schönes Leben für Alle!
Die BesetzerInnen des ehemaligen Topf & Söhne Geländes