Offener Brief an den Erfurter Stadtrat und die LEG (10.11.2005)

Wir - die BesetzerInnengruppe auf einem Teil des ehemaligen Topf & Söhne Geländes - freuen uns über die Verwirklichung der Ausstellung "Techniker der 'Endlösung'" und darüber, dass die Forderungen des Förderkreises "Geschichtsort Topf & Söhne" nach einem Ort der Auseinandersetzung über die Geschichte der Firma auf dem Topf & Söhne Gelände endlich umgesetzt werden können.
Der Stadtrat hat beschlossen, dass dem Förderkreis das Verwaltungsgebäude zur Verfügung gestellt wird, damit dort ein Bildungs- und Dokumentationszentrum entstehen kann. Das ist sehr zu begrüßen, jedoch fragen wir uns, warum das Besetzte Haus bei der öffentlichen Diskussion um die Zukunft des Geländes außen vor gelassen wird? Bisher ist nur geplant, dass der Rest des Geländes - und somit auch der besetzte Teil - von der LEG einfach zum Wohn - und Gewerbegebiet umfunktioniert wird. Die momentanen Pläne sehen für das Besetzte Haus (genau wie für andere Gebäude des Geländes) den Abriss vor!
Dabei ist das Gelände und dessen Geschichte auch durch die Besetzung und die Aktionen und Veranstaltungen der BesetzerInnen weiter in den öffentlichen Diskurs geraten. Entgegen den Behauptungen Herrn Kindervaters vom Kulturdezernat Erfurt auf der Eröffnung der Ausstellung "Techniker der 'Endlösung'" am 23.10.05 war der Erfurter Stadtrat - und im besonderen der Oberbürgermeister - diesem Thema gegenüber bis Anfang diesen Jahres durchaus nicht aufgeschlossen. Der Förderkreis versucht schon seit 1996 und das Besetzte Haus seit 2001 in der Öffentlichkeit eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Geländes anzuregen. Auch wenn das von Seiten des Förderkreises weitaus professioneller und langwieriger geschehen ist, gingen vom Hausprojekt Impulse für eine Auseinandersetzung aus. Der virtuelle und tatsächliche Rundgang über das brachliegende Gelände, Führungen, Vorträge und Infostände zum Thema sind ein selbstverständlicher Teil unseres Projektes. Besonders unter den Jugendlichen und jungen Erwachsenen der Region ist hierdurch die Sensibilität für die Geschichte des Geländes immens gewachsen. Dies dokumentiert der Film "Topfgang" zur Geschichte des Geländes und zur Besetzung, der vor kurzem in Zusammenarbeit mit der Erfurter Videogruppe "Filmpiraten" entstand, ebenso wie die Ausstellung "Stets gern für sie beschäftigt", die von der israelischen Künstlerin Yael Katz realisiert wurde und im Frühjahr diesen Jahres in Berlin gezeigt wurde.
Das Hausprojekt versucht außerdem, die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus auch in einen Zusammenhang mit der heutigen Gesellschaft zu stellen. Wir setzen uns mit dem heutigen Antisemitismus und aktuellen Nazi - Strukturen ebenso auseinander, wie mit Sexismus, Rassismus und den Zumutungen der kapitalistischen Gesellschaft. Aber nicht nur politische Arbeit macht seit 4 ½ Jahren das Besetzte Haus auf dem ehemaligen Topf & Söhne Gelände aus. Auch ein Lesecafe, ein Büro, Wohnraum, kulturelle Veranstaltungen, Bandproberäume, künstlerische Aktivitäten und regelmäßige "Küche für alle" sind Bestandteil des selbstorganisierten Projektes, die für uns nicht mehr wegzudenken sind. Die Ignoranz der Stadt Erfurt und der LEG gegenüber diesem politischen und kulturellen Zentrum ist für uns nicht akzeptabel. Wir fordern den Erhalt unseres Projektes und eine Einbeziehung in die Diskussion über die Zukunft des Geländes, die auch die Zukunft unseres Projektes und des Wohnraums einiger Menschen ist.



Die BesetzerInnen des ehemaligen Topf & Söhne Geländes