Vor fünf Jahren wurde das Gelände der ehemaligen Firma Topf & Soehne in Erfurt besetzt. Für unser Projekt ist sozusagen Geburtstag und ein Grund zum Feiern. Die Besetzung ist nicht nur Teil in der Historie der Subkulturen Erfurts, welche sich einen Platz für Konzerte, Partys, Filmabende, Wohnraum und theoretische Auseinandersetzungen erobern. Die Besetzung ist auch ein Teil einer langjährigen Debatte des Umganges der Stadt Erfurt mit einem Gelände und der Geschichte eines Ortes, der entscheidend mit der Vernichtung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden zusammenhängt. Der Ort, an dem dereinst die Öfen und Belüftungsanlagen der Gaskammern für Auschwitz, Buchenwald und andere Konzentrations- und Vernichtungslager hergestellt wurden, liegt heute brach. Und doch ist er seit einiger Zeit wieder in der öffentlichen Diskussion. Dass dem nicht immer so war, können insbesondere die Mitglieder des Förderkreises "Geschichtsort Topf & Soehne" bezeugen.
Aus diesem Kreis wurden Veranstaltungen organisiert, profilierte Historikerinnen und Historiker eingeladen und immer wieder die Etablierung eines Ortes gefordert, der sich intensiv und kontinuierlich mit dieser Geschichte, aber auch mit Gesellschaft auseinandersetzt. Dies geschah lange bevor endlich eine Stelle zur Erforschung der Geschichte der Firma ausgeschrieben wurde, bevor eine Ausstellung über "Die Ofenbauer von Auschwitz" für ein bundesweites Presseecho sorgte und auf äußeren Druck hin auch in Erfurt gezeigt wurde und bevor OB Manfred Ruge entdeckte, dass er sich schon immer mit ganzem Herzen für die Aufarbeitung dieser Geschichte eingesetzt hatte. Dieser Geschichtsort scheint nun endlich, auch durch eine langsame Sensibilisierung in der Stadt, in greifbare Nähe zu kommen. Allerdings wird immer noch darüber nachgedacht, die Geschichte von ihrem Ort zu trennen. Eine Dauerausstellung in einem Nebengebäude des Stadtmuseums oder sogar in der Begegnungsstätte "Kleine Synagoge", wird der Historie nicht gerecht. Dagegen besteht die, von uns auch geforderte, Möglichkeit durch den Umbau des ehemaligen Verwaltungsgebäudes der Firma, einen Ort für eine Dauerausstellung und die notwendige pädagogische Betreuung zu schaffen. Dies wäre dann ein Ort, der nicht versucht, die Geschichte als "Eine unter Vielen" (Variante Stadtmuseum) zu präsentieren, oder sogar bei den Opfern abzulagern.
Der Geschichtsort muss die Möglichkeit bieten unangenehme, kontroverse Fragen zu stellen, die auch aktuelle Meinungen kritisch hinterfragen. Die zu diskutierenden Punkte finden sich im Alltag und in jeder beliebigen Tageszeitung wieder. Insbesondere während des rot-grünen Regierungsbündnisses konnte beobachtet werden, wie sich der Diskurs um die Aufarbeitung der Vergangenheit änderte.
Auschwitz und die Shoa waren nicht mehr die Themen, um die die Politik lieber einen Bogen machte. Es begann eine offensive Auseinandersetzung oder vielmehr Instru-mentalisierung der deutschen NS-Geschichte. Diese Instrumentalisierung führte dazu, dass deutsche Truppen mit dem Hinweis, es gälte ein neues Auschwitz zu verhindern, in den Kosovo geschickt wurden, dass Guido Knopps Vulgärhistorie und Jörg Friedrichs Buch "Der Brand" deutsches Leiden thematisierten ohne es ange-messen in den historischen Bezug zu bringen. Zu den Statements der NPD, die den Angriff von britischen und amerikanischen Fliegern am 13./14. Februar 1945 auf Dresden als "Bombenholocaust" bezeichnete, ist es dann nicht mehr weit.
All das ist ein Ausdruck des Wunsches das Leid der Deutschen im Zweiten Weltkrieg zu betonen, verbunden mit dem Wunsch eine "normale" Nation zu sein, die, wie alle anderen auch, dunkle Flecken in ihrer Vergangeheit hätte. Doch die deutsche Geschichte ist nicht wie die Geschichte anderer bürgerlicher Nationen. Das Gelände von Topf & Soehne und seine historische "Last" offenbart dies. Diese "Last" ist die bisher einmalige Katastrophe von Auschwitz. Eine Arbeit auf dem Gelände, wie sie erstens durch Ausstellung und Betreuung in dem Verwaltungsgebäude möglich wäre, zweitens in einem kleineren bzw. anderen Rahmen, bereits von Teilen des besetzten Hauses geleistet wird, kann diese Gedanken über die Bedeutung des Geländes und Anstöße hieraus in die gesellschaftliche Debatte einbringen.
Auch wenn es sich bei der Beschäftigung mit dem Thema durchaus auch um ein Gedenken an die Opfer handelt, so muss der Fokus auf der Beschäftigung mit dem Handeln der Täter liegen. Gerade an dem Geschichtsort muss sich mit dem Handeln und dem dahinter stehenden Denken ausein-andergesetzt werden. Einem Denken, das es Leuten ermöglichte Öfen zu bauen mit dem Wissen, dass diese Krematorien nicht für Bestattungen sondern zur massenhaften Beseitigung von Leichen in Konzentrations- und Vernichtungslagern konzipiert wurden. Es ist erwiesen, dass die Angestellten und auch die Firmenleitung von Topf & Soehne keine besonders überzeugten Nazis waren. Sie waren, und das ist vielleicht schlimmer, Leute die einfach "ihren Job gemacht haben".
Was bringt Leute dazu, "einfach nur ihren Job zu machen"? Zum einen fand dieser Job in einem gesellschaftlichen Klima statt, welches vom Antisemi-tismus geprägt war. Jüdinnen und Juden wurden mit "Ungeziefer" und "Ratten" assoziiert, statt sie als Menschen zu betrachten. Wir denken auch, es war und ist auch heute noch eine Gesellschaft, die Menschen zu autoritäts-hörigem Denken erzieht, eine Gesellschaft, in der die Leute sich in erster Linie über die Realabstraktionen Tausch und Ware zueinander ins Verhältnis setzen, in der der Wert eines Menschen an seinem Wert auf dem Arbeits-markt und der von ihr/ihm geschaffenen Güter gemessen wird; in der die Leute von sich selbst und ihrer Umwelt entfremdet sind; in der Dinge nicht produziert werden um Bedürfnisse zu befriedigen, sondern um der Produk-tion willen. Wenn es egal ist, was produziert wird, es nur auf den erwirt-schafteten Mehrwert und die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Maschinerie ankommt, ist es nur ein kleiner Schritt, eben auch technisch die Massenvernichtung von Jüdinnen und Juden zu ermöglichen. "Tugenden" wie Effizienz, Rationalität, Arbeitsethos und Autoritätshörigkeit standen dem nicht im Wege - im Gegenteil. Die Firma Topf & Soehne ist ein Beleg dafür, wie diese Entfremdung, diese "Tugenden" problemlos mit der industriellen Tötung von Menschen korrespondierte, ja diese erst ermöglichte.
Das Hausprojekt ist ein Versuch, sich von solch gesellschaftlich vermittelten "Tugenden" abzugren-zen, ohne Gegenentwurf sein zu können. Unter diesem Aspekt kann eine angestrebte Kritik an den Verhältnissen nur eine verneinende sein. Es geht nicht darum, durch Verbesserungsvorschläge den bestehenden gesellschaftlichen Rahmen zu legitimieren. Wir wissen auch, dass ein besetztes Haus wie das unsere nicht außerhalb dieser Gesellschaft steht, dass wir den Mechanismen, die wir kriti-sieren zu einem großen Teil selbst unterliegen. Wir haben eine Praxis, auch wenn es die Falsche sein könnte und sie Falsches beinhaltet. Unser Bestreben ist, emanzipatorisches Denken und Handeln weiterzubetreiben.
Für einen Geschichtsort im Topf & Söhne - Gelände!
Die Besetzung bleibt!
Die BesetzerInnen des ehemaligen Topf & Söhne Geländes