Flyer zum Eintreffen des "Zug der Erinnerung" in Erfurt


Liebe Passant_innen

Sicherlich werden sie sich fragen, was das Ganze hier für einen Sinn haben soll - wenn sie uns einige, wenige Minuten ihrer Aufmerksamkeit schenken, werden wir ihnen das gern etwas näherbringen....
Heute Morgen um 10.00 Uhr traf hier am Erfurter Hauptbahnhof der "Zug der Erinnerung" ein, eine aus zwei Waggons bestehende fahrende Ausstellung, die sich mit der Rolle der Reichsbahn bei den Deportationen in Konzentrations- und Vernichtungslager beschäftigt. Von diesen Deportationen waren Jüdinnen und Juden, NS-Gegner_innen und andere Menschen, die der Ideologie des Nationalsozialismus im Wege standen, betroffen. Die Rolle der Reichsbahn wird oft mit dem Wort "bedeutend" umschrieben, schaut mensch jedoch etwas genauer hin, so trifft die Umschreibung "tragende Rolle" die Situation jedoch wesentlich genauer.

Angefangen damit, dass mit der Bahn Millionen Menschen in den sicheren Tod bzw. in Zwangsarbeit, Folter und unmenschliche Tortur transportiert wurden, die für diesen Transport auch noch eine Fahrkarte kaufen mussten. Doch auch das Bestehen bzw. das fortlaufende Funktioneren des jeweiligen Lagerbetriebs hing eng mit der Reichsbahn zusammen. So hatte beispielsweise die Erfurter Firma Topf & Söhne eine eigene Laderampe mit dazugehörigem Gleis auf ihrem Gelände. Mit der Geschichte der Firma, die die Krematorien für die Verbrennung der Leichen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern herstellte, beschäftigen sich die hier aufgestellten Tafeln. Die enge Zusammenarbeit mit der Reichsbahn war nötig, um ihre immer effizienter werdenden Krematorien schnell und ohne weitere Umstände an den jeweiligen Zielort, ob Auschwitz oder Buchenwald, bringen zu können. Nachschub an Waffen, Munition, Nahrungs- und Feuerungsmitteln wurden durch die Reichsbahn nicht nur in die Lager, sondern ebenso auch in die Frontgebiete während des Zweiten Weltkriegs gewährleistet, womit die aktive Kriegsbeteiligung der Bahn allerdings noch nicht endet. Sogenannte Eisenbahnpioniere - Wehrmachtssoldaten, die zum Beispiel deutsche Züge auf die russische Standardspurbreite umbauten - wurden von erfahrenen Reichsbahnmitarbeiter_innen ausgebildet.

Kurz gesagt, ohne die Reichsbahn und ihre fleissigen, gewissenlos pflichterfüllenden Angestellten wären weder Deportationen noch Konzentration- und Vernichtungslager oder Kriegsführung in dem Maße wie geschehen möglich gewesen. Und obwohl vor allem die Deportationen sowohl für Bahnmitarbeiter_innen als auch für Anwohner_innen der für gewöhnlich im leicht erreichbarem Stadtzentrum gelegenen Bahnhöfe nicht im Verborgenen blieben und damit deren Ausmaß zumindest vage abschätzbar war: von Bedenken kaum eine Spur.

Nach dem Krieg wurde die "Deutsche Reichsbahn" fast ohne jeden Bruch weitergeführt, in Westdeutschland wurde der Name in "Deutsche Bundesbahn" geändert, die DDR blieb gleich beim alten Namen und seit der Wiedervereinigung heisst das ganze Unternehmen "Deutsche Bahn". Das gesamte Vermögen, und damit auch das an Deportierten ,Kriegs- und Vernichtungslogistik erworbene Geld blieb den bzw. dem Unternehmen jedoch erhalten. Eine Aufarbeitung der Firmenhistorie fand nicht statt, von Wiedergutmachung ganz zu schweigen. In diese Kontinuität fügen sich nahtlos die offensichtlich nach wie vor fehlenden Bedenken auf Seiten der Deutschen Bahn. Diese will bis zum heutigen Tag von ihrer Vergangenheit so wenig wie möglich wissen - und sehen schon garnicht. Vor einigen Jahren sollte auf mehreren Bahnhöfen die Ausstellung "11000 jüdische Kinder" gezeigt werden, die sich mit dem Schicksal der mit der Reichsbahn deportierten jüdischen Kinder auseinandersetzt. Dies wurde von der Deutschen Bahn untersagt.

Auch der heute hier eingetroffene "Zug der Erinnerung" wird von der Bahn nicht unterstützt - im Gegenteil. Für jeden Aufenthaltstag auf einem Bahnhof stellt die Bahn der Initiator_innengruppe mehrere tausend Euro Nutzungsgebühren in Rechnung. Somit verdient das Unternehmen "Deutsche Bahn" an der Aufarbeitung der eigenen Firmengeschichte durch andere, was einer Verhöhnung der Deportierten recht nahe kommt.
Um diese unsäglichen Zustände zu thematisieren sind wir heute hier und halten diese Kundgebung ab. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.


Die Besetzer_innen eines Teils des ehemaligen Topf & Söhne Geländes