Diskusionspapier einiger Hausbesetzer/innen März/April 2001

Diskussionspapier zu Hausbesetzung und Aufruf zur Teilnahme an der Demonstration "Es gibt keine Alternative zur sozialen Revolution" am 30.4. in Erfurt

Hausbesetzungen stellen einen Angriff auf das Privateigentum dar. Eigentum bedeutet, Grenzen zu ziehen, Menschen eine Nutzung vorzuenthalten und die Nutzung zu bestimmen. Unter bestimmten Umständen kann auch bei Haus- und Wohnungswirtschaft ein eigener Kapitalmarkt daraus entstehen. Im Moment stagniert dieser Bereich jedoch. So lohnt sich das Immobilien- und MaklerInnengeschäft in Westdeutschland fast gar nicht mehr und in Ostdeutschland wurde es nur durch lukrative Steuerabschreibungsangebote rentabel. So wurden vom Staat im Programm "Aufbau Ost" eine geringere Versteuerung der Mieten angepriesen. Bei fehlenden Mieter/innen überhaupt stehen diese Häuser jedoch ungenutzt leer. Wir erwarten jedoch keine großen Geschäfte mehr, da diese Steuervorteille 2001 ausgelaufen sind und sich 90 % der Investitionen als Minusgeschäfte erwiesen haben.
Trotzdem unterliegt Hausbau- Miet- und Städtepolitik kapitalistischen Gesichtspunkten und so werden auch Häuser zu Träger kapitalistischer Politik. So wurden Häuser schon früher zur Unterbringung von Arbeiterinnen genutzt und ganze Stadtzentren entstanden dadurch z. B. Siemensstadt in Berlin.
Heute werden Gebäude genutzt für Bürogebäude, Eigentumswohnungen, Mietwohnungen, die nur bei sehr geringem Standart billig bis mäßig teuer sind, Fabriken und Bürogebäude, in denen Menschen ihre Arbeitskraft zu immer geringerem Wert verkaufen müssen, Polizeireviere, Knäste, schlecht-ausgestattete Heime, in denen Menschen wohnen müssen (z. B. Asylbewerber/innen), Schulen und Unis, die immer mehr zu Leistungs- und Denkfabriken werden, Discos, Cafes und Kinos, in denen Menschen ihre Arbeitskraft für den nächsten Arbeitstag wieder auftanken, sich von Ungerechtigkeiten ablenken und sich patriarchalen Balzgelüsten hingeben können....
Zusätzlich werden die Fassaden der Häuser als Werbemedium verkauft, damit nur noch große und kleine Firmen ihre Messages verbreiten können (in Erfurt ist dies die Deutsche StädteMedien). Es ist allein schon strafbar, an einem Laternenpfahl ein Plakat aufzuhängen, ohne dafür zu bezahlen.
Häuser dagegen zu "besetzen", heißt eigentlich sie zu befreien: Von der ihr zugeschrieben Funktion innerhalb städtebaulicher Verwertungspolitik und von dem Besitzverhältnis, das ihm angemessen wird - wir sehen sie damit als antikapitalistisch, von uns aus sollten das ruhig alle Leute machen.
Um sie aber wirklich von kapitalistischer Vergesellschaftung zu befreien, brauchen sie eine andere Form der Nutzung, die nicht auf Eigentums-, Miet- oder Pachtverhältnissen beruht und eine andere, libertäre Organisationsphilosophie, bei der alle mitsprechen und -entscheiden können, aber niemensch etwas besitzt, und trotzdem Platz für neue Leute ist. Die Besetzung von Häusern in der derzeitigen Gesellschaftsordnung kann einen Freiraum darstellen, um dort jetzt schon anders, solidarisch, nicht-warenförmig und nicht-diskriminierend zu leben, wohnen, arbeiten und abzuhängen: Quasi sich auszudrücken, ohne sich am Markt zu orientieren.
In ihnen können andere ökonomische Modelle ausprobiert werden und sie können Ausgangspunkte und Zentren eines weiteren politischen Vorgehens sein.
Es wird eine Form der Bedarfsgesellschaft gegen den Markt gesetzt.
Gleichzeitig sind sie eine Antwort auf Umstrukturierungsmaßnahmen der Stadt zum Beispiel Sanierungen, "Aufwertungen der Wohnqualität" durch Betonierungen, Flußbegradigungen, Park- und Flurbereinigungen und Installationen von Überwachungskameras, Polizei- und Sicherheitsdienstbereichen, privatisierten Straßen, Plätzen und Gehwegen vor z. B. Kaufhäusern wie dem Potsdamer Platz in Berlin und der Vertreibung von Berber/innen, Punks, Migrant/innen und anderen Marginalisierten ( d. h. Randgruppen) aus der Innenstadt.
Sprayer/innen sollen mit öffentlichen Denunziationsaufrufen wie in Erfurt und in Gera nachgekommen werden.
So sind sie als Treffpunkt allen Unbequemen ständig bedroht, da sie weder über einen Besitzanspruch noch den Wunsch zur Kommerzialisierung und Konformität haben, und müssen permanent gegen Repression und Integration verteidigt werden.
Doch gerade deshalb kam und kommt es immer wieder zu Streitigkeiten in diesen Häusern, da sich der Widerspruch "offensives Projekt" und "Rückzugsmöglichkeit" nicht in eine Richtung auflösen läßt. So ist die soziale Revolution der permanente Kampf für ein hierarchiefreies Leben.
Es scheint jedoch die Vernetzung von verschiedenen Projekten sowohl bundesweit als auch in Europa und weltweit eine Möglichkeit, um unabhängige und Besetzungsprojekte wie Wagenplätze, Häuser, Hausboote, Parks, Hüttendörfer,...zu stärken, Im Beziehen auf andere Projekte und eine solidarisches Füreinander kann eine Möglichkeit liegen, um nicht vereinnahmt zu werden. So gibt es gerade auch Projekte, die auf die Solidarität von anderen Projekten aber auch nicht-organisierten, interessierten Menschen angewiesen sind. So wurde jüngst erst die Rote Flora, ein seit 12 Jahren besetztes Zentrum in Hamburg an einen privaten Bieter verkauft und ist von der Räumung bedroht. Nicht anders geht es einem Projekt in der Köpenicker Straße in Berlin, manche kennen es auch unter "ööpi", das versteigert werden soll. In Karlsruhe oder wurde das Projekt "Steffi" geräumt.
Doch weltweit gibt es noch ganz andere Projekte viel größerer Art z. B. der Kampf um Chiapas, einen Teil in Mexiko, der seine Unabhängigkeit von globalisiertem und nationalökonomischem Kapitalismus anstrebt.
Ähnlich ist der Kampf von Landlosen in Brasilien, der Organisation MST, in der über 200.000 (!) Familien, ein riesiges Areal besetzten, um Häuser für sich zu bauen.
Doch um es noch einmal zu sagen: Es geht uns nicht um eine gleichmäßigere Verteilung von Land und Eigentum und wir wollen auch keine Tauschwirtschaft, sondern die Abschaffung von Eigentum als gesellschaftliches Prinzip und den Aufbau einer libertären Bedarfsgesellschaft, in der alle über alles entscheiden können.
So zitieren wir hier Marx: "Jedem nach seinen Bedürfnissen, jeder nach seinen Fähigkeiten."
Deshalb fordern wir Euch hiermit auf, am 30 . 4. zu der Demonstration "Es gibt keine Alternative zur sozialen Revolution" nach Erfurt zu kommen.
Wir haben dort vor, speziell den Bereich Freiräume vor und nach der Revolution zu thematisieren. Möglicherweise möchtet Ihr Euch uns anschließen und auch etwas dazu schreiben, basteln, bauen oder einen Redebeitrag halten.


Einige Hausbesetzer/innen aus der Region