Aufruf zur Kampagne "Hände hoch, Haus her. Für ein selbstverwaltetes Zentrum in Erfurt"

Eine Lücke in Erfurt

Am 16. April 2009 wurde das besetzte Haus in Erfurt nach langen politischen Auseinandersetzungen von einem massiven Polizeiaufgebot geräumt. Damit wurde ein Projekt zerstört, das über acht Jahre Raum für politische Intervention sowie möglichst unkommerzielle kulturelle und politische Veranstaltungen bot und von verschiedenen Gruppen genutzt wurde. Nicht zuletzt bestand dort die Möglichkeit auf einer solidarischen Ebene ohne Mietverträge zusammen zu leben.
Das kürzlich geräumte besetzte Haus befand sich auf dem ehemaligen Gelände der Firma Topf & Söhne, die während des Nationalsozialismus Krematorien für Konzentrations- und Vernichtungslager wie Auschwitz und Buchenwald produzierte. Seit Beginn der Besetzung im April 2001 war die öffentliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der Firma ein zentrales Anliegen der Besetzer_innen. Ziel war es die weitgehend freiwillige und engagierte Beteiligung der normalen deutschen Bevölkerung an der technischen Umsetzung der massenhaften Menschenvernichtung aufzuzeigen.
Ausschlaggebend für die Beteiligung der Mitarbeiter_innen von Topf & Söhne am Holocaust waren im Besonderen Antisemitismus, Rassismus, Lohnarbeit als Lebensmittelpunkt und einziger anerkannter Lebensunterhalt sowie das Abdelegieren von Verantwortung nach "Oben". Neben der Kritik dieser gesellschaftlichen Mechanismen auch im Hier und Jetzt versuchten wir Kritik an Zuständen wie Sexismus, Homophobie und Kapitalismus an die Öffentlichkeit zu bringen. Mit der Räumung des ehemaligen Topf & Söhne-Geländes findet diese Kritik jedoch kein Ende und es steht außer Frage, dass wir uns weiter in die Debatte um die Geschichte der Firma einmischen und natürlich auch weiter für ein selbstverwaltetes Zentrum kämpfen werden. Durch den Abriss des besetzten Hauses ist eine Lücke in Erfurt entstanden, die wir schnellstmöglich wieder füllen müssen und wollen.

Die politische Lage in der Stadt

Zugegeben: Unsere Ausgangsposition für diesen Kampf ist denkbar schlecht. Die Besetzer_innen und Unterstützer_innen sind nach der Räumung von zahlreichen Rechtsklagen bedroht. In der öffentlichen Diskussion wurde sich in den Wochen nach der Räumung mehr mit abgebrannten Müllcontainern als mit dem martialischen Polizeieinsatz bei der Räumung oder gar dem Verlust des Projektes beschäftigt. Der Sozialarbeiter und Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) lässt es sich nicht nehmen, in jedes ihm vorgehaltene Mikrofon zu äußern, dass jedwede Neubesetzung sofort geräumt werden soll. Die CDU-Fraktion beschwört nach der Räumung im Thüringer Landtag eine neue Extremismusdebatte herauf. Die Erfurter Nazis jubeln indes und hoffen, dass antifaschistische Strukturen durch den Verlust des besetzten Hauses an Schlagkraft verlieren. In Bezug auf die Gegnerschaft zum besetzten Haus ist sich die Thüringer Rechte mit der politischen Mitte einig. So wirbt die NPD-Abspaltung "Pro Erfurt" unter anderem deshalb dafür, den CDU-Politiker Michael Panse zu wählen, auch wenn dieser sich offiziell von den extremen Rechten distanziert.
Im Allgemeinen ist die Lokalpolitik der Stadt Erfurt von einem zunehmenden Sicherheits- und Sauberkeitswahn geprägt. Vor einigen Jahren wurden die Mittel für Jugend- und Kulturarbeit drastisch zusammengekürzt. Was der CDU jahrelang nicht gelang, ließen SPD und Linke Wirklichkeit werden: In der Innenstadt wird seit letztem Jahr eine neue Verordnung durchgesetzt, die beispielsweise öffentlichen Alkoholkonsum in Gruppen verbietet und Straßenkünstler_innnen ein freies Auftreten erschwert. Diese Politik fügt sich in einen generellen Trend, alles nicht Verwertbare aus den Stadtzentren zu verdrängen. Schon vor der Räumung des besetzten Hauses wurden wir in den Verhandlungen mit der Stadt nicht ernst genommen. Gespräche über ein Alternativobjekt wurden erst angeboten, nachdem die Genehmigung zum Abriss weiter Teile des Areals von der Stadt unterzeichnet war. Nach der Ablehnung des einzigen angebotenen viel zu kleinen Alternativobjektes, wurden die Gespräche von Seiten der Stadt abgebrochen. Anschließend wurden wir gegenüber der Presse als stur und verhandlungsunwillig verunglimpft. Für uns ergibt sich aus den bisherigen Erfahrungen mit der Stadt Erfurt, dass wir von dieser Seite nichts zu erwarten haben.

Put your hands up in the air!

In einer Gesellschaft, in der Menschen sich fast ausschließlich durch ihre Verwertbarkeit definieren, ist ein Projekt, das diese Verwertungslogik in Frage stellt umso wichtiger. Eine generelle Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu entwickeln und nach außen zu tragen ist uns ein zentrales Anliegen. Dabei ist uns klar, dass wir uns der kapitalistischen Verwertungslogik von Kaufen und Verkaufen nicht komplett entziehen können, aber die Organisation von Veranstaltungen deren Besuch nicht vom Geldbeutel abhängig ist, liegt uns trotzdem am Herzen. Ebenso wollen wir einen Raum für Menschen bieten, die andernorts aufgrund von gesellschaftlichen Mechanismen wie Homophobie, Rassismus, Sexismus und Antisemitismus diskriminiert werden. Ein Raum, in dem Nazis und deren menschenverachtendes Gedankengut keinen Zugang haben, bietet einen wichtigen Rückzugsort, in einem Klima, das von einem Wiedererstarken der extremen Rechten geprägt ist.

Wir wollen ein Projekt, das durch seine Unabhängigkeit von der Stadt ohne Bevormundung Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen üben kann. Wir wollen nicht warten auf ein besseres Leben, sondern dazu beitragen dass sich etwas ändert. Wir wissen, dass wir in diesem Kampf nicht alleine dastehen, denn auch in anderen Städten kämpfen Menschen für selbstverwaltete Räume und gegen soziale Ausgrenzung. Das haben zuletzt die Solidaritätsaktionen nach der Räumung in mehr als 30 Städten eindrucksvoll bewiesen. Wir wollen uns nicht anbiedern und um finanzielle Unterstützung betteln, sondern nach wie vor ein Störfaktor sein, in einer Stadt, die ihre saubere Fassade über die Bedürfnisse derer stellt, die in ihr leben.
Wir suchen deshalb Eigentümer_innen von Objekten, die bereit sind, mit uns über eine unkonventionelle Nutzung durch ein solches Projekt zu reden und fordern die Stadt auf, ein neues Projekt zu dulden! Hierfür starten wir eine langfristige Kampagne, mit dem Ziel ein neues selbstverwaltetes emanzipatorisches Projekt aufzubauen und in Erfurt ein anderes Klima zu erzeugen, in dem nicht nur mit Repression auf von der Norm abweichende Vorstellungen und Lebensweisen reagiert wird.