Basics zum Umgang mit Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen


Seit geraumer Zeit gibt es in Erfurt Diskussionen um den Umgang mit Vorfällen von Vergewaltigung und sexuellen Übergriffen.(1)
Dabei wurde häufig die gesellschaftliche Dimension dieser sexistischen Handlungen ausgeblendet. Dies geschieht zum Beispiel bei der Infragestellung des Definitionsrechtes bzw. der Definitionsmacht der von solchen Übergriffen Betroffenen aber auch bei dem Vorschlag der Therapierung des Täters bzw. bei der reinen Fixierung auf einen Täter.

Betroffene von Übergriffen und Vergewaltigungen treffen in der Gesellschaft immer wieder auf die gleichen Reaktionen:
· Unglauben
· Infragestellung der Aussagen
· Schuldzuweisung an die Betroffenen (besonders beim Freundeskreis des Täters aber auch vor Gericht)
· oder das Todschweigen des Vorfalles

Täter dagegen können normalerweise mit
· Verharmlosung der Tat
· Entschuldung oder gar Rechtfertigung
· und direkter oder indirekter Komplizenschaft rechnen.

Das Einfordern des Definitionsrechts bzw. der Definitionsmacht der Betroffenen ist eine Reaktion auf diesen gesellschaftlich normalen Umgang. Dabei wird nicht mehr und nicht weniger verlangt, als der Person grundsätzlich Glauben zu schenken, die von einer Vergewaltigung bzw. von einem sexuellen Übergriff erzählt und die Wünsche der Betroffenen bei dem weiteren Umgang zumindest zu berücksichtigen.
Die oben beschriebene gesellschaftlich normale Reaktion ist aber auch ein Grund dafür, nicht bei der Beschäftigung mit einem Fall von Vergewaltigung o.ä. stehen zu bleiben bzw. sich nur auf einen Täter zu konzentrieren oder zu glauben, dass eine Therapie das Problem lösen würde.
Dies genügt schon allein deshalb nicht, weil die meisten sexuellen Übergriffe und Vergewaltigungen nicht öffentlich gemacht werden. Zu der erfahrenen Entmachtung über den eigenen Körper kommt dabei nämlich die erneute Entmachtung durch die Bewertung des Erfahrenen durch andere hinzu. Angst vor der Reaktion des Umfeldes, verinnerlichte Schuld - und Schamgefühle sowie die immense psychische Belastung durch eine wiederholtes Aufleben der Erniedrigung allein bei der verbalen Beschreibung des "Tathergangs" sind somit für viele Menschen ausschlaggebende Gründe, ihre eigenen Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung für sich zu behalten.
Viel wichtiger ist es also, den sexistischen gesellschaftlichen Konsens anzugreifen, der hinter einem solchen Übergriff steht. Ein Beispiel ist, daß die Frau als schönes und passives Sexualobjekt und der Mann als eroberndes sexuell aktives/aggressives Subjekt nach wie vor gängige gesellschaftliche Identifikationsfiguren sind, die durch die ihnen innewohnende Hierarchie das Potenzial für Vergewaltigung und sexuelle Übergriffe in sich tragen.

Wenn mensch die gesellschaftlichen Umstände und die Auswirkungen von sexuellen Übergriffen auf die Betroffenen bedenkt, kann auch der Wunsch nach konsequenter Ausgrenzung des Täters aus Zusammenhängen (Räumen, Treffen, etc.) der Betroffenen nicht unbeachtet bleiben. Tatsächlich kann oft nur zwischen einer Ausgrenzung des Täters oder der Betroffenen gewählt werden, denn meist zieht sich die betroffene Person über kurz oder lang aus Zusammenhängen zurück, in denen sie mit dem akzeptierten Täter und seinem Freundeskreis konfrontiert wird. Die Toleranz gegenüber dem Täter und die Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen der Betroffenen reproduziert die herrschenden Verhältnisse und muss durchbrochen werden (2).

Allerdings kann auch das Projizieren von Boshaftigkeit in den einzelnen Täter problematisch sein. Eine reine Bestrafungsmentalität gegenüber dem Täter steht nämlich einer Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Hintergründen und der eigenen Verstrickung in diese im Weg, wenn angenommen wird, dass mit der Bestrafung bzw. Ausgrenzung des einzelnen Täters die eigene Verantwortlichkeit für Vergewaltigung und Sexismus beendet ist.

Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe sind nur der extremste Ausdruck von vielfältigen geschlechtsspezifischen Hierarchien und können nicht ohne diese verstanden und bekämpft werden.
Deshalb ist neben einer schnellen und weitreichenden Unterstützung der Betroffenen die Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Background - also mit Sexismus - absolut notwendig.


(1) Die Diskussionen und unser Text beziehen sich vorrangig auf sexuelle Übergriffe von Männern auf Frauen/Mädchen. Wir sind uns aber bewusst, dass auch Jungen/Männer von sexualisierter Gewalt betroffen sind.
(2) Unter Ignoranz ist dabei auch klar die Nichtbeachtung oder die "neutrale Haltung" gegenüber der Vergewaltigung oder des sexuellen Übergriffes zu zählen, denn hier wird erneut über die Betroffenen hinweggegangen.




Die BesetzerInnen des ehemaligen Topf & Söhne Geländes