"Gibt es außer der literarischen Sprache noch eine,
die mir nichts verkaufen will? Ich kenne keine.
Deshalb: Nichts macht so frei wie die Sprache der Literatur."[1]
Martin Walser wird heute abend im Rahmen der Erfurter Herbstlese sein Buch "Der Augenblick der Liebe" vorstellen. Dabei geht es nicht nur um gute oder schlechte Literatur,
seit seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche steht der Name Walser auch symbolisch für die Eröffnung einer Debatte um den Umgang mit der deutschen Vergangenheit. Anläßlich der Verleihung des Friedenspreies des deutschen Buchhandels vor ziemlich genau sechs Jahren eröffnete Walser seine Rede mit einleitenden Betrachtungen, um dann über seinen Umgang mit der Thematisierung der rassistischen Auschreitungen in Rostock-Lichtenhagen zu sprechen. Das Problem ist für Walser jedoch nicht das Geschehen in Rostock, sondern die Berichterstattung in den Medien: "Die, die mit solchen Sätzen auftreten, wollen uns wehtun" sagt er in Bezug auf Aussagen, die die Sympathie der Bevölkerung gegenüber den rassistischen Pogromen kritisierten. Diese Verschiebung des eigentlichen Problems behält Walser auch bei, als er auf das eigentliche Thema zu sprechen kommt - den Holocaust und den Umgang damit in Deutschland. Er wendet sich gegen die "Dauerpräsentation unserer Schande" in den Medien und gegen die "Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken". Dabei lässt er unausgesprochen, durch wen und wofür diese Instrumentalisierung erfolgt. Andere Gründe, außer einer Instrumentalisierung, für die Präsenz der Erinnerung an Auschwitz kommen für ihn gar nicht in Betracht. Das geplante Holocaustdenkmal in Berlin bezeichnet er als "fußballfeldgroßen Alptraum" und als "Monumentalisierung der Schande" - nicht Auschwitz, das Symbol für die industrielle Vernichtung von 6 Mio. Jüdinnen und Juden, ist bei ihm schrecklich, sondern die Erinnerung daran.
Seine Rede von Auschwitz als "Moralkeule" und den "Meinungssoldaten", die den Schriftsteller in "den Meinungsdienst nötigen", scheint dem Vokabular der neuen Rechten entsprungen und dementsprechend positiv wurde sie dort auch aufgenommen und verstanden[2]. Die Intention der Rede läßt sich nur in Verbindung mit der nachfolgenden öffentlichen Debatte richtig einschätzen. Während nahezu das gesamte Publikum, bestehend aus den "Größen der Nation", stehend applaudierte, blieb Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, sitzen und bezeichnete Walsers Rede anschließend als "geistige Brandstiftung"[3]. Oft wurde der Streit zwischen Walser und Bubis als Mißverständnis bezeichnet, da Bubis die Rede falsch verstanden hätte. In einem gemeinsamen Gespräch betonte Walser jedoch, daß er nicht falsch verstanden worden sei. Dabei konnte er sich auf "tausend Briefe" aus der Bevölkerung berufen, die ihm Zustimmung signalisierten, und durchgängig aussagten "dass man sich einfach als Deutscher in einem Beschuldigtenzustand fühlt". Hier zeigt sich, daß die Rede, obwohl sie zu einem Großteil aus Andeutungen und unklaren Hinweisen bestand, durchaus so verstanden wurde, wie sie von Walser gemeint war - als Aufruf, einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen und endlich eine ganz normale Nation zu werden - während Walser sich auf ein "so war es doch gar nicht gemeint" zurückziehen konnte, ohne jedoch zu erklären, wie es denn eigentlich gemeint gewesen sei.
"Herr Reich-Ranicki, in unserem Verhältnis bin ich der Jude"[4]
Diese Aussage Walsers, getroffen in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung, einen Monat vor der Rede in der Paulskirche, führt zum nächsten Kapitel in "Walsers Welt" - einer Welt in der der Träger des Bundesverdienstkreuzes und einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftsteller, der sich jüngst mit dem Bundeskanzler zum Talk über Deutschlands Zukunft traf, sich selbst als Opfer der Macht von Literaturkritikern wie Marcel Reich-Ranicki sieht, als Opfer von "Meinungssoldaten", der nur "vor Kühnheit zitternd" aussprechen kann, was er sagen will. Im Jahre 2002 wurde Walsers Roman "Tod eines Kritikers" nach längeren Diskussionen im Suhrkamp Verlag veröffentlicht. Schon vor der Veröffentlichung, führte der Roman zu einem handfesten Skandal, da die FAZ den Vorabdruck mit einer öffentlichen Erklärung und dem Vorwurf des Antisemitismus ablehnte. Walsers Buch spielt so offensichtlich mit antisemitischen Klischees, dass selbst Frank Schirrmacher, Herausgeber der FAZ und nach der Paulskirchenrede noch einer der glühendsten Verteidiger Walsers, von einem "Dokument des Hasses"[5] sprach.
Am 13.9.2001 fand in der Erfurter Michaeliskirche eine Lesung mit Martin Walser statt, organisiert von der Universität Erfurt und dem MDR. Die Versuche anstelle der Lesung eine Diskussion mit dem Publikum über Antisemitismus einzufordern, wurden mit einem Rauswurf der Protestierenden durch die Polizei und Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruchs durch den Universitäts-Präsidenten beantwortet.
Die Ankündigung der Walser-Lesung durch die VeranstalterInnen der Erfurter Herbstlese erwähnt weder die Diskussion um die Paulskirchenrede, noch die Auseinandersetzungen um das Buch "Tod eines Kritikers". Die antisemitischen Elemente in Walsers öffentlichen Ausführungen stehen hier nicht zur Diskussion - es geht nur um reine Literatur und die hat mit den sonstigen Aussagen des Schriftstellers nichts zu tun. Dies ist die optimistischste Erklärungsweise für die Einladung Walsers und das Nichterwähnen der Debatte in der Ankündigung. Angesichts der Themenwahl einiger Lesungen der letztjährigen Herbstlese könnte aber eher die Sympathie seitens der OrganisatorInnen mit der deutschen Normalisierungsdebatte und Walsers Aussagen vermutet werden. So waren letztes Jahr gleich zwei Autoren angetreten, um die Debatte in die richtige Richtung zu lenken: Während Peter Glotz vor der Lesung zu seinem Buch "Die Vertreibung" noch erklärte, das deutsche Täter keine Opfer seien, konnte in einer anderen Veranstaltung der Berliner Historiker und Geschichtsrevisionist Jörg Friedrich sein Buch "Der Brand" vorstellen. Darin wird der Bombenkrieg der Alliierten als militärisch sinnlos beschrieben, Hitler und Churchill auf eine Ebene gestellt und die Tatsache des Bombenkriegs gegen Deutschland aus ihrem historischen Kontext gerissen. Diese Darstellung wurde dann auch vom Publikum so begriffen, wie sie gemeint war: Damals ist auf allen Seiten Unrecht geschehen und wenn wir schon ständig an Auschwitz erinnert werden, dann muss doch wenigstens mal gesagt werden dürfen, dass den Deutschen auch Unrecht wiederfahren ist.
Hier schließt sich der Kreis zu Walser, der eben nicht einfordert, die Schuld der anderen zu benennen, aber mit derselben Absicht verlangt, "die unaufhörliche Präsentation unserer Schande" zu beenden: "Aber in welchen Verdacht gerät man, wenn man sagt, die Deutschen seien jetzt ein ganz normales Volk, eine ganz gewöhnliche Gesellschaft?"[6]
Auf diese von Walser vor 6 Jahren eingeforderte "Normalität" wird seitdem hingearbeitet. Beispielhaft zu nennen wären hier die Auftritte Gerhard Schröders zum Jahrestag der Landung in der Normandie und zum Warschauer Aufstand, das Einfordern einer "Deutschquote" im Radio, die Wiederbelebung der, diesmal positiv und fortschrittlich besetzten, nationalen Werte durch Popbands wie MIA[7] und die Aufforderung an Englands Queen, eine Entschuldigung für die Bombardierung Dresdens abzugeben[8].
In der Zwischenzeit hat Deutschland einen Krieg geführt, um "ein neues Auschwitz zu verhindern" und sich an einem Krieg demonstrativ nicht beteiligt, "weil wir aus der Erfahrung von zwei Weltkriegen gelernt haben", so daß Walsers Normalisierungsforderungen von der Realität mittlerweile überholt scheinen. Auch als Stichwortgeber für einen neuen Antisemitismus sind Politiker wie Möllemann und Hohmann weit an Walser vorbeigeprescht, was jedoch nicht bedeutet, dass seine Positionen nicht abzulehnen sind und sich wieder auf die reine "Sprache der Literatur" konzentriert werden kann.
Antisemitismus abschaffen!
Deutschland halt's Maul!
[1] Martin Walser, Paulskirchenrede, 11.10.1998 (eine Dokumentation der Rede und der Debatte ist unter http://www.geschichte.uni-muenchen.de/jgk/dokumentation_walser_bubis.shtml zu finden)
[2] Die rechtsextreme Wochenzeitung Junge Freiheit druckte Walsers Rede komplett ab und Frey's "Deutsche Nationalzeitung" lobte den "weltberühmten Schriftsteller Martin Walser".
[3] "Ignatz Bubis antwortet Martin Walser", Süddeutsche Zeitung, 10.11.1998
[4] Interview in der Süddeutschen Zeitung, 19.9.1998
[5] Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.05.2002
[6] Martin Walser, Paulskirchenrede, 11.10.1998
[7] siehe auch das Projekt "angefangen" http://www.angefangen.de/
[8] BILD, 28.10.2004